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Spaziergang mit Moritz von Crailsheim

… durch seine Wälder bis zu den Grabkammern seiner Ahnen

 

Das Prohliser Wäldchen lag in der Sonne. Wir warteten auf Moritz Freiherrn von Crailsheim. Ein Mittfünfziger trat auf uns zu. Er arbeitete offensichtlich in der Werkstatt neben dem Haus, an dem wir uns verabredet hatten. „Wohnt hier Moritz von Crailsheim?“, fragte ich. Der Mann verneinte. Aber er arbeite für ihn. So warteten wir gemeinsam. Er ist der Forstbetreuer, erfuhren wir. In dem Wäldchen spektakelte es, alles war auf der Balz. „Wir hatten mal Käuze. Ansonsten sind Buntspechte und Stare da, Eichelhäher. Voriges Jahr brüteten Stockenten in der Wiese am Bach“, so Crailsheims Mitarbeiter. „Das Wäldchen ist Privatbesitz, aber öffentlich zugänglich.“

 

Jetzt kam jemand eilig auf uns zu. Er hatte uns gesucht: Moritz Freiherr von Crailsheim. Unvermittelt kam er auf den Krähenwald zu sprechen: „Mein Urgroßvater war der Letzte, der 1948 dort oben bestattet wurde – in einem Urnengrab, das aber gleich danach geplündert worden ist. Vandalismus richtete schon nach dem Krieg große Schäden an. Auch Schloss Prohlis wurde geplündert, ebenso Schloss Lockwitz, ein weiterer Sitz der Familie der Freiherren von Kap-herr. Danach wurde alles enteignet“, erzählt Crailsheim. Er wurde in München geboren, ist ein echter Bayer und seit 1991 in Dresden.

Crailsheim heißt er, weil seine Vorfahren die Herren der Stadt Crailsheim in Württemberg waren. Bereits im 14. Jahrhundert haben sie die Stadt verlassen, sich erst nahe Crailsheim angesiedelt, dann auch um Ansbach. Lange Zeit stellten sie auch Ministeriale für den Markgrafen von Brandenburg und Ansbach. Sein Urururgroßvater ist nach Bayern ausgewandert und hat eine Gräfin von Lamberg geheiratet. So gibt es seit 1821 auch in Oberbayern eine Crailsheim-Linie. „Was machen Sie in Dresden?“, fragte ich ihn. „Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Obstbau, Grundstücksentwicklungen und Unternehmensberatung. Auch Obstbrände gibt es bei mir“, sagte er. Crailsheim ist Diplomkaufmann und war bis 1993 Student. 1991 bat ihn seine Familie, nach Dresden zu gehen, um sich dort um Ansprüche der Familie der Freiherren von Kap-herr zu kümmern, weil seine Mutter eine geborene Kap-herr aus dem Hause Prohlis ist. Erst war er alle paar Wochen für einige Tage da, dann kam er immer öfter. 1994 nahm er hier eine Wohnung, begann Obst anzubauen, pachtete Flächen, kaufte sie nach und nach und erwarb ein Haus. Außerdem handelte er in Düsseldorf mit Bekleidung, hatte schon 1987 als Student die Firma „Moritz von Crailsheim Bekleidung“ und gründete 1994 mit Freunden die Firma „MAILE“ in München, die es heute noch gibt. Er stieg dort aber im Jahr 2000 aus. Außerdem engagiert er sich heute unter anderem im Restaurant „bean & beluga“ auf dem Weißen Hirsch.

Als wir den Kirschfeldern den Rücken kehrten und dem Weg zum nicht mehr existierenden Schloss Prohlis folgten, erzählte Crailsheim von seiner Vision: „Dinge, die ganz einfach und nachhaltig sind, faszinieren mich. Für die Forstwirtschaft hat Hans Carl von Carlowitz im 18. Jahrhundert den Begriff der Nachhaltigkeit entwickelt. Hier geht es darum, einen Wald beständig zu bewirtschaften. Nachhaltigkeit kann man ebenso in alle Umstände des Lebens einbringen: dies gilt sowohl für unternehmerische Entscheidungen als auch für zwischenmenschliche oder persönliche. Dies ist ein ganz wichtiger Ansatz für mich als einzelner Mensch. Es kommt darauf an, Verantwortung für unsere Welt mit zu übernehmen: zum Beispiel politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder kulturelle. Unsere Erde ist so kostbar.“

Ein Radfahrer kam uns entgegen – in seinem Wald. Crailsheim ging auf den Radfahrer zu und bat ihn höflich abzusteigen, so wie es die Schilder vorsehen. Der Radfahrer war verblüfft, offensichtlich passiert ihm das in diesem Wäldchen selten.

Im nächsten Augenblick war Crailsheim wieder weit weg: „Im Heimatmuseum Prohlis läuft gerade eine Ausstellung über Kometen, wie z.B. dem Halleyschen Kometen. Da sieht man, wie klein wir eigentlich im Universum sind und wie unbedacht wir mit unserem wertvollen Gut, der Erde, umgehen. Das Thema interessiert mich. Aber ich will jetzt kein Visionär sein. Wichtig ist jedenfalls: Im Grunde sind wir alle gleich, jeder kocht mit Wasser und irgendwann müssen wir vernünftig werden.“ Wir spazieren weiter.

Nach dem Krieg war der einstige Schlosspark Prohlis enteignet und die Hälfte des Geländes bebaut worden.

Ein Hund kam uns ohne Leine entgegengerannt, das Herrchen 100 Meter weiter hinten. Crailsheim: „Neben Vandalismus durch unvernünftige Bürger haben wir hier auch große Probleme mit den freilaufenden Hunden. Sie hinterlassen überall ‚Schmutz’, reißen Zweige ab oder vertreiben das Wild.“ Er wies auf eine Frau, die auf einer Bank saß und strickte. „Es freut mich zu sehen, wenn jemand hier sitzt, die Sonne genießt und sich einfach an der Natur erfreut. Für diese Leute haben wir das gemacht.“ „Unser Wäldchen ist leider die einzige öffentlich zugängliche Grünfläche in Prohlis“, betonte Crailsheim.

Crailsheim macht eine Rundumbewegung auf einer Lichtung des Waldes: „Hier stand einmal die Schlossgärtnerei. Auch sie wurde nach der Enteignung beseitigt. Vor neun Jahren ist das Prohliser Wäldchen an die Erbengemeinschaft von Kap-herr zurückübertragen worden. Da ich auch irgendwann Miterbe wurde, ist die Fläche letztlich bei mir gelandet.“

Mit Stolz erinnert sich Crailsheim an die arbeitsreichen Jahre: „Seitdem haben wir die Fläche mit Hilfe der Stadtverwaltung Dresden und mit Fördermitteln aus dem Fonds „Die soziale Stadt“ neu gestaltet, immense Mengen an Müll und Bauschutt beseitigt, Wege gebaut, nichtheimische Hölzer wie Robinie oder Spitzahorn entfernt und tausende neue Bäume gepflanzt.“

„Dieses Jahr wollen wir weitere Buchen und Eichen nachpflanzen. Wir wollen auch noch einige Ulmen setzen, gutes heimisches Laubholz eben.“ Das Problem ist nach seinen leidigen Erfahrungen jedoch, dass die Pflanzungen oft zerstört werden, umgebrochen oder rausgerissen.“ Wir blieben vor einer Schonung stehen: „Das ist eine Neupflanzung. Die haben wir vor sechs Jahren gemacht. Nur wenige Bäume sind durchgekommen, vielleicht ein Zehntel. Der größte Teil wurde bedauerlicherweise durch Vandalismus zerstört.“

Die Zeit war schon voran geschritten. Crailsheim wollte uns noch das einstige Mausoleum der Familie zeigen. Einer seiner Vorfahren hatte es 1872 errichten lassen. So fuhren wir zum Krähenwald hoch über Lockwitz. „Den Wald habe ich 2005 zurückgekauft und dann durchforstet, im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung“, erzählt Crailsheim. Plötzlich winkt er durch das Autofenster einer entgegenkommenden Frau zu: „Die ist nett, sie leint ihren Hund an.“ Das Mausoleum ist eingezäunt. „Wir müssen das leider machen, um Vandalismus fernzuhalten“, so Crailsheim. „Die Anlage war seit Kriegsende nicht mehr eingezäunt und deshalb sehr zerstört. Hier wurden meine Vorfahren bestattet. Ich habe auch Fotos, wie es früher aussah. Die Treppe zur Gruft war zerstört, vieles geplündert und die schweren Sandsteinblöcke sind geklaut worden. Wir haben nach dem Rückkauf eine neue Treppe aus Beton gebaut, Sandstein war zu teuer. Es lohnt sich auch nicht, weil die Grabstätte nicht mehr genutzt wird. Aber die Treppe ist nun wieder da. Wir haben durch Beton auch alle fehlenden Sandsteinplatten an Wänden und Böden ersetzt. Jetzt gehen wir mal runter. Da sehen Sie … in der DDR-Zeit hat man die Sandsteinplatten komplett herausgenommen.“

Doch wir waren nicht die Einzigen vor Ort: „Die Wasserrinne … Vorsicht, eine Kröte!“ Und Crailsheim zeigte, wozu er auch Arbeitshandschuhe im Auto hatte: Er nahm die Kröte und siedelte sie kurzerhand um – aus der Erdkröte wurde eine Wiesenkröte. Die Grabkammern „riefen“ nun.

„Die 48 Kammern waren zu zwei Drittel belegt“, konzentrierte Crailsheim sich auf das Wesentliche und wir stiegen hinab ins Dunkel. „Das Sandsteingewölbe war völlig durchnässt. Es gibt Fotos von 1946, wo alle Gräber aufgebrochen waren. Von einst haben wir nur einige wenige Gebeine gefunden, die wir andernorts bestattet haben, und viele Beschläge von Särgen, die wir haben aufarbeiten lassen. Auch fanden wir noch etliche Bruchstücke der Grabplatten aus Marmor. Hier war die Ruhestätte des Stammvaters unserer Familie in Dresden, Hermann Christian Frhr. v. Kap-herr.“

Im Dunkeln waren verschiedene Grabkammern zu erkennen, die wie Regalfächer angeordnet waren. Die Grabplatten fehlten. Sie waren während der Plünderung zertrümmert worden. „Es gibt einen Plan, wo die Plätze zugeordnet sind. Einige waren nicht belegt und daher nicht zugemauert. Wir haben sehr viel Müll und Schutt entfernt und dann versucht, Luft hinein zu führen durch Anhebung dieser Kappen.“ Ich bemühte mich, konzentriert zu bleiben … Kappen, Kap-herr, Tod … „Hier war meine Urururgroßmutter Charlotte Dorothea Frfr. v. Kap-herr bestattet, sie ist 1866 gestorben. Ihr berühmtes Porträt von Julius Scholtz ‚Großmutter und Enkelin‘ hängt in der Gemäldegalerie Neuer Meister ...“ ... Stopp, die kannte ich. Plötzlich war er kein Fremder mehr für mich, sondern einer, der gut und gerne aus dem Bild herabsteigen konnte, das ich schon als Kind gern mochte. „Ich habe noch Teile ihrer Grabplatte“, fuhr Crailsheim fort. „Die Anlage ist baulich nun gesichert, die nächsten 50 Jahre kann nichts mehr passieren. Nichts mehr ist einsturzgefährdet. Wir haben draußen den Boden vollständig abgetragen und das Gewölbe mehrlagig abgedichtet“, sagte er.

Das Rauskommen aus der Gruft war herrlich. Der Blick weitete sich wieder „Frauenkirche, Weißer Hirsch, Loschwitz, hier ist das Elbsandsteingebirge, dort drüben sehen Sie den Lilienstein. Da vorn ist die Prager Autobahn, dahinter das Dorf Borthen“, zeigte Crailsheim die Umgebung des Krähenwaldes. Dann saßen wir wieder im Auto.

„Tragisch ist, dass künftig hier Lehm abgebaut werden soll, auf dem Acker vor dem Mausoleum“, umriss er einen Raum, der sich vor uns über einen Kilometer zu erstrecken schien. „Immerhin konnte ich erreichen, daß das Mausoleum während dieser Maßnahme von nah und fern sichtbar bleibt“, so Crailsheim. „Die Maßnahme dauert dreißig, vierzig Jahre ... Es ist mir wichtig, dass das Mausoleum wieder sichtbar ist. Ich habe kürzlich erst im Ortsamt Prohlis eine Flurkarte gesehen, wo um das Mausoleum herum kein Wald stand. Die war von 1905. Das heißt, wir haben es heute richtig gemacht.“

Als wir, vom Krähenwald kommend Lockwitz erreichten, hielt er kurz an: „Hier ist der Kap-herr-Weg“, sagte er. „Wir hatten das Angebot der Stadt, den Namen Kap-herr im Dresdner Straßenverzeichnis festzuhalten. So haben wir entschieden, es hier in Lockwitz anzunehmen, an dem Ort, wo die Kap-herr’s zuerst waren. 1866 hatte mein Urururgroßvater Hermann Christian Frhr. v. Kap-herr, der Gemahl unserer „Großmutter und Enkelin“, Schloss Lockwitz gekauft und umgebaut. Damals gab es bereits diesen namenlosen Weg von Lockwitz bis hoch zum Krähenwald. Heute heißt er Kapherr-Weg“, lächelte er. Christine Salzer

Fotos: Anke Mittelhäuser