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Holger Stromberg: Warum, wie und wann wir essen

Von Holger Stromberg
 

Essen und Trinken ist viel mehr als nur die Aufnahme von Nährstoffen, damit der Körper mehr oder weniger reibungslos funktioniert und die Laune nicht in den Keller geht. Essen und Trinken hat auch sehr viel mit dem Einsatz unserer Sinne, mit Gefühlen und generell mit Wahrnehmung zu tun. Mit Geschmack, Geruch und ob uns das gefällt, was wir da auf dem Teller vor uns haben. Bewusst oder unbewusst spielen aber auch unsere Erfahrungen, bestimmte familiäre Muster, Gewohnheiten und Vorbilder eine wesentliche Rolle dabei, wie wir uns ernähren.

Zuerst intuitiv, dann erlernt
Das fängt alles schon sehr früh an: Aus der Entwicklungspsychologie weiß man, dass Babys und kleine Kinder - sofern sie gesund und normalgewichtig sind - eine gutes Gespür für Hunger und Sattsein haben. Sie wissen intuitiv, wann sie essen möchten und vor allem was. Das nennt man im Wissenschaftsjargon somatische Intelligenz. Kinder verlassen sich völlig auf ihre Körperempfindungen. Sie freuen sich auf ihr Essen und geben sich ganz und gar dem Essen hin. Das geschieht nicht nebenbei, sondern voll und ganz mit allen Sinnen. Schauen Sie sich mal so einen Zwerg an, wenn er selbstvergessen im Sommer an einem Eis schleckt. Lässt man Kindern ihren individuellen Essrhythmus und gibt ihnen frische, hochwertige Produkte, dann essen sie mal mehr, mal weniger, entwickeln Vorlieben und Geschmack, bleiben gesund und munter und entwickeln ein starkes Immunsystem. Mit der Zeit kommen dann neue Gewohnheiten hinzu; die Kinder werden größer, es geht in die Schule, eventuell wird hier gegessen. Zu Hause gibt es bestimmte Regeln oder Essrituale (oder auch nicht). Auf jeden Fall wird ein Essverhalten so über viele Jahre hinweg erlernt und ist dann im Erwachsenenalter oft gar nicht mehr so einfach zu ändern. Das eigene Ernährungsverhalten zu verändern - zum Beispiel, weil man ein paar Pfunde loswerden oder sich einfach wieder fitter und leistungsfähiger fühlen will - bedeutet, dass man seine bisherigen Gewohnheiten durch neue Verhaltensweisen ersetzt. Das muss man dann mit Zeit und Geduld üben, und es funktioniert in aller Regel auch nur, wenn nichts verboten ist und wenn die Sache Freude macht. Heute weiß man, dass eine ausgewogene, abwechslungsreiche und bedürfnisgerechte Ernährung in Kombination mit körperlicher Aktivität der Schlüssel zu einem langen, gesunden Leben ist. Das ist das eine. Das andere ist: Auf unsere körperliche und psychi-sche Gesundheit, unsere Leistungsfähigkeit, unser Fühlen und Denken, unser Selbstwertgefühl ebenso wie auf Beziehungen und unsere Umwelt wirkt sich auch aus, was und welche Lebensmittel wir essen. Ganz wichtig: Das Thema Essen sollte nie zu einem Zwang werden, sondern den Alltag auf eine positive und kreative Art und Weise bereichern.

7 Psychofakten rund ums Essen

1. Das Auge isst mit:
Wie viel wir beim Frühstück, Mittag oder Abendessen zu uns nehmen, liegt nicht nur am Essen oder unserem Hunger - eine große Rolle spielt auch die Tellergröße. Brian Wansink von der amerikanischen Universität Cornell schenkte im Jahr 2005 54 Teilnehmern seiner Studie Suppe aus. Die Hälfte der Probanden assen aus normalen Suppentellern, die andere aus einem Teller, der sich über einen versteckten Mechanismus immer wieder von selbst auffüllte. Was passierte? Die zweite Gruppe löffelte zwei Drittel mehr Suppe. Trotzdem waren sie hinterher davon überzeugt, nicht mehr gegessen zu haben - und satter fühlten sie sich auch nicht.

2. Essen vor der Glotze macht dick:
Eine Untersuchung des Psychologen Jeffrey Brunstrom von der Universität in Bristol beweist: Wer vor dem Computer oder dem Fernseher futtert, isst mehr als ein Mensch, der sich ganz seinem Essen widmet. Die Studienteilnehmer, die beim Essen abgelenkt waren, fühlten sich danach weniger satt und aßen eine halbe Stunde später bereits doppelt so viele Kekse (Quelle: American Journal of Nutrition, 12/10).

3. Frauen essen weniger, wenn Männer dabei sind:
Meredith Young von der kanadischen McMaster University kam in ihrer Studie aus dem Jahr 2009 zu einem interessanten Ergebnis. Sie beobachtete männliche und weibliche Studenten in der Mensa. Assen Frauen in Begleitung von Männern, wählten sie häufiger Diätfood, Salate oder Gemüse. Männer hingegen aßen, was ihnen Spaß machte. Macht am Salatblatt knabbern Frauen also attraktiver?

4. Fast Food macht nervös:
Dass Fast Food nicht gerade das Gelbe vom Ei ist, hat sich herumgesprochen. Sanford DeVoe von der Universität Toronto machte bei einer Studie im Jahr 2010 noch eine weitere Entdeckung: McDonald's, Pizza Hut & Konsorten wirken sich sogar auf das Verhalten aus. In einem Experiment setzte er die Studienteilnehmer vor einen Monitor, auf dem für wenige Sekunden Logos von Fast-Food-Ketten aufblitzten. Als die Probanden im Anschluss etwas ablesen sollten, zeigte sich: Die Gruppe, die die Logos gesehen hatte, las viel hektischer und schneller als eine Vergleichsgruppe. In weiteren Experimenten: Fast-Food-Erfahrungen ließen die Probanden eher zu Fertigprodukten und Waren greifen, die Zeit sparen. Laut DeVoe macht die Kultur des schnellen Essens ungeduldig und hektisch.

5. Frauen essen aus Frust, Männer aus Lust:
Laurette Dubé von der kanadischen McGill Universität befragte für ihre Studie im Jahr 2005 277 Personen zu ihren Essgewohnheiten. Ergebnis: Männer und Frauen essen aus unterschiedlichen Gründen. Während Männer lieber aus Spaß an der Freude zulangen, greifen Frauen eher bei Einsamkeit und Frust zu.

6. 220-mal ans Essen denken:
Unsere Gedanken kreisen täglich etwa 220-mal ums Thema Essen, fanden die Psychologen Jeffrey Sobal und sein Kollege Brian Wansink von der Cornell University im Jahr 2006 heraus. Sie ließen rund 140 Befragte schätzen, wie oft sie sich jeden Tag mit Essen befassen. Danach wurden Fragebögen ausgefüllt, in denen man Fragen zu seinem individuellen Essverhalten beantworten sollte. Das Ergebnis: Der Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Beschäftigung mit Essen war erheblich. Hatten die Teilnehmer wohlwollend geschätzt, etwa 15-mal täglich ans Essen zu denken kreisten ihre Gedanken tatsächlich 220-mal um alle möglichen Nahrungsmittel.

7. Kochen macht uns zum Menschen:
Der Biologe Richard Wrangham von der Harvard Universität glaubt, dass das enorme Gehirnwachstum des Menschen im Lauf der Evolution auf der Weiterentwicklung der Fähigkeit zu kochen beruht. Außerdem hat sich unser soziales Miteinander seiner Meinung nach erst durch das am Feuer Sitzen, Kochen und Schmausen herausgebildet. Fakt ist, dass die Bedeutung des Kochens im Rahmen der Menschheitsentwicklung unterschätzt wurde. Schließlich unterscheiden wir uns nicht nur durch die Größe unseres Gehirns von den Primaten, sondern auch dadurch, dass wir gegarte Speisen verzehren.


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Mit Stimmen von Jogi Löw,
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Kochen sein kann. Kein Rezept braucht mehr als fünf
Zutaten, stattdessen erklärt uns der Starkoch lieber,
was kulinarische Intelligenz bedeutet, gibt viele praktische
Ernährungstips und zeigt, wie hilfreich ein Ernährungstagebuch
und eine gut aufgeräumte Küche sind.
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