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Handgefertigte Werte in einer neuen Zeit

Die Grossmann Uhren GmbH hat sich der Tradition verpflichtet

Der Geist von Moritz Grossmanns traditioneller Uhrmacherei soll in der Neuzeit wieder aufleben. Im erzgebirgischen Glashütte entstehen seit 2008 Zeitmesser bei der Grossmann Uhren GmbH, die die Tradition wahren, ohne historische Stücke zu kopieren.

Moritz Grossmann gilt als der Begründer der deutschen Uhrmacherschule. Das Talent des 1826 in Dresden geborenen Uhrmachers zeigt sich schon in jungen Jahren: Nach seiner Lehre als Uhrmacher, die er wegen seiner Begabung frühzeitig beenden darf, geht er auf eine siebenjährige Wanderschaft. 1847 zog es ihn zunächst nach Altona, zum Chronometermacher Moritz Krille und dann zum Hofuhrmacher Josef Bierganz nach München. Sein Weg führte weiter in die Schweiz in die Uhrmachermetropole La Chaux-de-Fonds, nach England, Frankreich, Dänemark und Schweden. Erst 1854 kehrte er nach Dresden zurück und zog kurze Zeit später ins Erzgebirge nach Glashütte. Hier begann er, seine Manufaktur zu errichten. Er baute eine Drehbank speziell für Uhrmacher, tüftelte an der optimalen Konstruktion der Chronometerwippe, fertigte Präzisionswerkzeuge, Taschenuhren und Seechronometer. Schon bald stellte er ein Spezialistenteam zusammen (u. a. Ludwig Strasser und Carl Maucksch), um die Vielzahl an Aufgaben zu bewältigen. Im Jahr 1866 gewann er als erster Deutscher überhaupt einen vom British Horological Institute ausgeschriebenen Wettbewerb mit dem Werk "On the detached lever escapement". Er engagierte sich außerdem sozial und hielt Vorträge. Am 23. Januar 1885 starb er unerwartet an einem Gehirnschlag. Nach seinem Tod wurde seine Glashütter Manufaktur aufgelöst. Es sollte 125 Jahre dauern, bis wieder eine Uhr veröffentlicht wird, die seinen Namen auf dem Ziffernblatt trägt. Zu verdanken ist das Christine Hutter. Die Uhrmacherin ist eine Expertin. Schon zu Beginn ihrer Lehre beim Münchner Uhrmachermeister Wilhelm Glöggler ist sie fasziniert von alten Pendülen, Taschenuhren und den Chronographen, die zu den schönsten gehören, die Zeiger antreiben können. In der Werkstatt repariert sie selbstständig uhrmacherische Raritäten und fertigt eigenhändig Ersatzteile an - und das alles in einer Zeit, in der die Quarzuhr den Markt beherrscht, deren Inneres moderner Elektronik statt einem traditionellem Uhrwerk gleicht. Doch die traditionelle Mechanik soll schon bald ihre Renaissance feiern. In Hutters Kopf wächst der Wunsch nach einer eigenen Manufaktur. Sie entdeckt die alte Uhrenmarke "Moritz Grossmann" und lässt sich die Marke schützen. Ihre Pläne reifen, sie entwickelt Konzepte und überzeugt private Uhrenliebhaber, in ihre Idee zu investieren. Im November 2008 ist es so weit: Die Grossmann Uhren GmbH wird in Glashütte gegründet. Bereits ein Jahr nach der Gründung besteht das Team aus sechs Spezialisten. Fünf Jahre später arbeiten 46 Mitarbeiter im Betrieb. Schnell muss man die Räumlichkeiten wechseln. Im September 2010 wird die BENU, die erste Moritz-Grossmann-Armbanduhr, der Weltöffentlichkeit präsentiert. In kleinen Stückzahlen beginnt zwei Monate später ihre Auslieferung. Bis heute beruft sich die Uhrenmanufaktur auf ihre im 19. Jahrhundert begonnene Handwerkstradition. Typische Details: der geradlinige Schnitt der Platine, die zwei Drittel des Uhrwerks abdeckt und mit einem halbrunden Ausschnitt den Blick auf die Unruh freigibt, und der nicht geradlinige, sondern einen gestuften Unruhkolben, der an den Ankerchronometer Grossmanns erinnert. Die Präzision des menschlichen Auges, das ästhetische Empfinden der Unternehmerin Christine Hutter und das Feingefühl der Hand sind beim Bau unerlässliche Werkzeuge. Sie sind es, die ein Höchstmaß an Wertschöpfung entstehen lassen. Besonders deutlich wird das, wenn die Formvollendung im Vordergrund steht. Der dreifach gestufte Sonnenschliff verziert das Rad des Gesperrs. Hauchdünn ausgeschliffene, gehärtete angelassene Stahlzeiger erinnern an eine fast in Vergessenheit geratene Fingerfertigkeit. Ankerradkloben und Unruhkloben sind von Hand graviert. Das bedeutet jedoch nicht, dass man auf moderne Technik verzichtet. Den Konstrukteuren stehen computergestützte, dreidimensionale Zeichenprogramme zur Verfügung. Der Bau einer Uhr beginnt, mit den von Hand gefertigten ersten Protoypteile. Dann kommt es zur ersten Kleinserie, ehe mit hochpräzisen Werkzeugmaschinen, elektronisch gesteuerten Verarbeitungsprozessen und Drahterodierautomaten Rohteile entstehen, die bis auf einige tausendstel Millimeter den Vorgaben der Zeichnung entsprechen. Damit wirklich alle Teile am Ende zusammenpassen, bedarf es einer Feinabstimmung aller Werkteile und Baugruppen. Individuelle Anpassungen sind unvermeidbar. Das Uhrwerk wird montiert, geölt und gefettet, die Ganggenauigkeit wird einreguliert und die Tragebewegung in verschiedenen Lagen simuliert. Entsprechen die Testresultate den Qualitätsansprüchen, wird das Uhrwerk wieder demontiert. Alle Bauteile werden erneut gereinigt und die Zwei-Drittel-Platine bekommt ihren charakteristischen breiten Glashütter Streifenschliff. Erst danach wird das Uhrwerk ein zweites Mal zusammengefügt und die Uhr erhält ihr eigentliches Gesicht mit Zifferblatt und Zeiger. Anschließend wird die Uhr nochmals 30 Tage lang einem Gangtest unterzogen, bis sie mit einem handgenähten Alligatorband und der Doppelfaltschließe komplettiert wird. Es dauerte über 100 Jahre, ehe überhaupt wieder eine Uhr mit dem Namen Moritz Grossmann erschien - es ist gut zu wissen, dass Uhrenliebhaber nicht umsonst gewartet haben.