• November 30, 2022
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Ein machthungriger Heerführer wird zu Schottlands König und baut seine Triumphe auf den Gräbern anderer auf: Shakespeares Tragödie „Macbeth“ begeistert die Dresdner. Ausverkaufte Vorstellungen, aufwendige Inszenierung und eine Top-Besetzung.

Die Aufregung ist zu spüren im Staatsschauspiel Dresden. Kein Platz bleibt leer, es ist restlos ausverkauft. Gespannt wartet das Publikum auf den Beginn des Stückes. Das Licht im Saal ist noch an als Christian Friedels Stimme (er spielt Macbeth) den Raum erfüllt. Er sitzt auf der Bühne, sein Schwert in der Hand, die schottische Krone beinah vom Kopf rutschend. Um ihn herum Tänzer in Schwarz. Seine Stimme ist verzerrt und der Wahnsinn spiegelt sich in seinem ersten Monolog. Plötzlich gehen alle Lichter aus. Gespanntes Warten im Zuschauerraum – es ist stockdunkel. Dann geht es los: grelle Lichter, Nebelmaschinen, laute Musik, Tänzer, Strobo-Licht. Reizüberflutet und fasziniert zugleich starren die Gäste gebannt auf die Bühne.

Die tragische Figur des Macbeth ist damals wie heute stereotypisch. Macht und das egoistische Streben nach ihr ist seit Anbeginn der Menschheit eine ihrer abgründigsten Schwächen. Auf der ganzen Welt dominieren egomanische Politiker und Herrscher. Ein Fakt, der den Stoff zeitlos und damit unumgänglich macht. Durch geschickte Anspielungen und beinah ironischen Überbetonungen der alten Texte wird dem Publikum die Aktualität des Themas vor Augen geführt.

Christian Friedel, bekannt durch seine langjährige Karriere am Dresdner und Düsseldorfer Schauspielhaus und durch Hauptrollen in „Das weiße Band“, „Elser“ und „Babylon Berlin“, spielt nicht nur Macbeth, sondern führt ebenfalls Regie. Die Inszenierung ist düster. Passend zu Shakespeares Stoff sind die Kostüme skurril und schlicht – schwarz, weiß, grau und rot. Das Böse lässt sich in jedem Tanz erahnen, in jeder Szene spüren und in der Musik wiederfinden. Zu betonen ist die hervorragende Leistung der Band „Woods of Birnam“, welche aus ehemaligen Mitgliedern der Musikgruppe „Polarkreis 18“ besteht. Mit Christian Friedel als Frontsänger vertonen sie seit 2011 Shakespeares Texte. So erschien 2022 das passende Album „Macbeth“: eine musikalische Meisterleistung, die vor allem live während der Inszenierung den Zuschauer noch mehr in den Bann zieht. Auch das Bühnenbild, optische Täuschungen, Schattenspiele und Spiegelkabinette suchen ihresgleichen.

Ein spürbares Schaudern geht durch die Reihen, wenn die drei Hexen von Birnam, angeführt von Gruoch (gespielt von Hannelore Koch), die Bühne betreten oder an Stangen herunterhängen und Macbeth süße, verstörende Lieder ins Ohr säuseln. Sie prophezeien seine Sicherheit bis der Wald von Birnam nach Dunsinane kommt. Angespornt von Lady Macbeth (gespielt von Nadja Stübiger) erfährt die Figur des Macbeth eine schauerliche Verwandlung zum Königsmörder. Der ehemalige König Duncan (gespielt von Ahmad Mesgarha) taucht auch nach seinem Tod immer wieder auf, wie auch andere Opfer Macbeths. Die Schwelle zwischen Leben und Tod, Schlafen und Erwachen wird hier so ineinander verworren, dass die Grenzen beinah verschwinden. Macbeth selber wird immer verrückter, abgestumpfter, aber auch gebrochen und einsam. Am Ende verliert er alles und jeden, auch seine Frau. Dies ist der einzige Moment, in dem ein kleiner Funke Menschlichkeit hervorkommt und er sagt: „Sie hätte sich ruhig noch ein bisschen Zeit lassen können.“ Das ist alles. Mehr Mensch steckt in Dresdens Macbeth nicht mehr. Letztendlich wird er durch eine List vom heranschleichenden Wald von Brinam überwältigt. Bis zuletzt bereut er nichts und stirbt mit den Worten: „Mein Tod wird es auch nicht besser machen.“ Die gleichen Worte aus dem Anfangsmonolog. Danach Stille.

Die Inszenierung „Macbeth“ am Staatsschauspiel Dresden lässt seine Gäste überwältigt und nachdenklich zurück. Der ganze Cast, die Tänzer, Schauspieler, Sänger, Musiker, das Licht, die Kostüme, die inszenierten Bilder – eine Wucht, die zum Denken und Diskutieren anregt und definitiv angeschaut werden sollte.

Text: Louisa Fließbach