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Dem Leben Gestalt geben

Gerd Priebe lebt seit 1995 in Dresden. Sein Schaffen als Architekt ist gepragt durch ein organisches Gesamtkonzept. Besonders wichtig sind ihm die Bedurfnisse seiner Kunden, denen er schon haufig Hauser gebaut hat, die sie so nicht erwartet haben. Disy traf den Architekten zum Interview.

Welche Architektur begeistert Sie?

Priebe: Ich kann mich für schöne und inspirierende Architektur begeistern. Diese sagt häufig viel über ihre Erbauer und spiegelt den gesellschaftlichen Kontext, die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die technologische Entwicklungen wider. Sie ist zudem Ausdruck unseres Interesses und Engagements an unserer gebauten Umwelt.

Was kann Architektur sein?
Priebe:
Im besten Fall ist Architektur lebensbereichernd. Ein Ort, der den Menschen inspiriert und Identität stiftet.

Was machen Sie anders als andere Architekten?

Priebe:
Ich besitze viel Einfühlungsvermögen. Damit gehe ich auf die Menschen ein, ich besitze ein Gespür für das Wesentliche. Meine Fähigkeit, diametrale Anforderungen zu vereinen, die Dinge auf den Punkt zu bringen, eine gute Wahrnehmung und natürlich meine Erfahrungen aus dem In- und Ausland sind ebenfalls wichtig.

Klingt, als könne man sich vertrauensvoll in Ihre Hände begeben.
Priebe:
Ja. Es ist wichtig, dass der Kunde Vertrauen hat. Ein offener und ehrlicher Austausch und die Bereitschaft auch neue Wege zu gehen oder Betrachtungen zuzulassen, sind sehr wichtig. Für mich gibt es keine andere Branche, bei der das Erschaffene so sehr von der Beziehungsqualität zwischen Kunde und Architekt abhängt. Die Kunden sollen sich öffnen und ruhig ohne Abstriche sämtliche Wünsche äußern, sich möglichst nicht einengen und keine Wertungen vornehmen. Erst wenn alle Wünsche und Vorstellungen zusammengetragen sind, können Prioritäten gesetzt und eine Lösung gefunden werden.

Sie wünschen sich, dass die Kunden sich vollkommen offenbaren?
Priebe: Die Bedürfnisse, Gewohnheiten, Vorlieben und Abläufe meiner Kunden sollen direkt in das Projekt einfließen. Ich möchte sie möglichst gut verstehen, mit ihren Gedanken, ihren Zielen und Anforderungen. Was ist für sie wichtig? Ich möchte die Grenzen ausloten und den Abgleich zwischen Wunsch und Wirklichkeit vornehmen. Ich sehe mich in der Rolle eines umfassenden Gestalters zur Schaffung von ganzheitlichen Lebensräumen

„Häufig sind es ganz rudimentäre Dinge, die aber einen ganz entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden haben. Klar kann man ein solches Haus auch schön gestalten, doch hinter dem Wohlbefinden würde ich ein großes Fragezeichen setzen.“

Sind diese intensiven Vorgespräche Ihre Inspirationsquelle?
Priebe:
Eigentlich weniger. Ich versuche, die Anforderungen anzunehmen. Ich sehe mich aber mehr als Wahrnehmenden, Berater, und Partner und weniger als Erfüllungsgehilfe.

Was sind die wichtigsten Faktoren bei Ihrer Arbeit?

Priebe: Entscheidend sind immer zwei Parameter. Zum einen der Ort selber. Welche Charakteristik hat dieser, welche Wesensart nehme ich von ihm auf? Der zweite Punkt sind natürlich die Wünsche des Bauherren. Ich versuche diese beiden Dinge zusammenzuführen. Am Anfang weiß ich meist selber noch nicht, was am Ende dabei herauskommt. Interessant ist häufig das, was nicht gesagt wird. Diese Dinge herauszuholen und zusammenzubringen, darin sehe ich meine Aufgabe. Häufig sind die Menschen dann selber über das Ergebnis erstaunt.

Viele Einfamilienhäuser entstehen aufgrund einer Lebensplanung. Was unterscheidet Ihre Herangehensweise?
Priebe:
Meine erste Frage ist meist, welches Lebensgefühl der Kunde in seinem Haus verwirklichen möchte. Die meisten haben darüber noch nicht nachgedacht. Häufig wird nur über faktische Dinge nachgedacht, aber das ist schlichtes Handwerkszeug. Doch schon beim Faktor Licht gibt es viel zu beachten. Lege ich mir mein Schlafzimmer nach Osten und stehe mit der Sonne auf, oder nach Westen und gehe ich mit ihr ins Bett. Häufig sind es ganz nebensächliche Dinge, die einen ganz entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden haben.

Sie designen auch Möbel und wollen im Idealfall Haus und Innenausstattung aus einer Hand liefern. Würde es Sie stören, wenn Sie in ein von Ihnen entworfenes Haus zurück kommen und dort nur Möbel von IKEA finden?
Priebe: Wenn der Kunde das so möchte, wieso nicht? Wenn die Möbel stimmig sind, dann spielt es keine Rolle, wo die Möbel herstammen. Wichtig ist, dass es ein Gesamtkonzept gibt. Kunden haben häufig Liebhaberstücke, zum Beispiel bestimmte Bilder. Die schaue ich mir an und beachte das bei meinen Entwürfen. Ich hatte im letzten Jahr Bauherren, bei denen die Frau den Gesang von Nachtigallen liebt. Wenn ich eine Nachtigall in der Nähe meines Wohnhauses haben möchte, dann ist das auch bei der Bepflanzung rund um das Wohnhaus zu beachten. Das sind Informationen, die ich meistens nur nebenher erfahre. Aus all dem entwickelt sich eine fundierte Grundlage. Diese nehme ich und bin das Gestaltungswerkzeug.

Sie waren lange Zeit in New York. Widerspricht die Stadt ihrer Vorstellung einer organischen Architektur?

Priebe: Wenn ich mir Barcelona oder Karlsruhe anschaue, deren Grundrisse orthogonal und sternförmig sind, da spielt es weniger eine Rolle, ob die Städte organisch aufgebaut sind. Entscheidend ist doch eigentlich die Wahrnehmung im Mikrokosmos. Großmaßstäblich wirkt gerade Manhattan sehr gerastert. Doch im Detail ist eine Straßenseite völlig anders als ihre gegenüberliegende. Es gibt ganz viele kleine Läden, die durch Farbe und Licht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das sind die Dinge, wo das Leben pulsiert, was an solchen Städten besonders interessant ist.

Haben Sie ein Vorbild?

Priebe:
Richard Meier, bei dem ich gearbeitet habe, war mein Vorbild. Das hat aber über die Jahre gewechselt. Es ist dann Oscar Niemeyer geworden, den ich 2006 in Rio de Janeiro besucht habe. Das war eine sehr markante Begegnung. Er war damals bereits 98 Jahre alt und eine Legende. Bis zu seinem Tod 2012 praktizierte er ja noch. Er hat mir beigebracht, dass es gar nicht um die Architektur geht, sondern immer um die Menschen. Das hatte ich damals noch nicht recht verstanden, aber heute kann ich sagen, dass er definitiv Recht hat. Wir haben in letzter Zeit gemerkt, dass wir Menschen brauchen, die bereit sind, neue Wege zu gehen. Unverwechselbarkeit ist ein Bedürfnis von uns allen. Jeder will sich von dem anderen unterscheiden. Das ist ein Wesensteil des Menschseins.

Wie haben Sie das Bedürfnis nach Individualität mit großen Wohnhausprojekten kombiniert?

Priebe: Bei unserem Projekt in Abu Dhabi war die Idee, den Gedanken eines Einfamilienhauses auf einen großen Maßstab zu übertragen. In der Regel sind Hochhäuser so strukturiert, dass es einen Kern gibt, in dem fahren die Aufzüge und liegen die Sanitärbereiche. Das hat zur Folge, dass der Bewohner maximal zwei, aber in der Regel nur eine Blickrichtung nach außen hat. Bei unserem Entwurf haben wir die Erschließung an den Randbereich gelegt, so dass man vier Wohnungen auf einer Ebene mit je drei Außenseiten hat. Innen sind die Schlafräume und Bäder, außen dann Wohn- und Essbereiche. Das ist für ein Hochhaus eher ungewöhnlich.

Wie können Sie noch den Wohlfühlfaktor eines Hauses beeinflussen?

Priebe:
Ich empfinde es immer als ärgerlich, wenn Häuser nicht funktionieren und einfachste Funktionen fehlen. Dazu kann schon eine Fußmatte gehören oder wenn das Bad keine bauliche Möglichkeit bietet, täglich genutzte Dinge abzustellen. Gute Architektur dient uns, bereichert unser Leben und erhöht die Lebensqualität. Der Mensch ist ein Sinneswesen und wir erleben unsere Umgebung unmittelbar. Wir können uns entscheiden, keine Bücher zu lesen, keine Filme zu schauen oder nicht ins Theater zu gehen, aber wir können uns nicht entscheiden, uns von Architektur fernzuhalten.

Zeichnen Sie Ihre Skizzen erst von Hand?
Priebe:
Meine Skizzen werden relativ schnell in den Computer übernommen. So gewährleisten wir schon in einem frühen Stadium der Entwicklung eine hohe Präzision. Nur so können wir rechtzeitig verschiedene Themenbereiche und Konflikte aufdecken. Für Präsentationen nutzen wir Skizzen in der Regel gar nicht.

Da nutzen Sie dann Modelle?

Priebe: Richtig. Das Modell hat zum einen den Vorteil, dass es für uns eine gute Eigenprüfung ist. Und für den Kunden wird der Entwurf greifbar. Es macht Freude, sein Haus im Modell zu erleben und begeistert die Kunden.

Was hat Sie das Leben gelehrt?

Priebe: Mir selber treu zu bleiben. So würde ich es auf eine Formel bringen. Man hat im Leben unglaublich viele Verführungen, so viele Angebote, so viele Möglichkeiten. Man lässt sich davon leicht ablenken. Doch wenn ich mir selber treu bleibe, dann tut es mir und meinen Mitmenschen gut.

Vita:

Gerd Priebe ist inzwischen seit 1995 in Dresden beheimatet. Seine lange Laufbahn startete er als Tischler. Dank des Hinweises eines Freundes begann er, Architektur zu studieren. Nach dem Studium lernte und arbeitete er unter anderem bei Gottfried Böhm in Köln und Richard Meier in New York. Zwischen 2001 und 2007 war er als Berater und Auditor im europäischen Raum unterwegs und arbeitete mit seinem Unternehmen Gerd Priebe Architects & Consultants für namhafte nationale und internationale Unternehmen. Ab 2007 widmete er sich wieder der Architektur. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte vor allem sein Entwurf für die Großmoschee in Algier. Das Bürogebäude Saegeling Medizintechnik in Heidenau wurde als eines der ersten Gebäude überhaupt mit dem Deutschen Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen ausgezeichnet. Im April 2013 gewann Gerd Priebe das Auswahlverfahren der Wohnungsgenossenschaft Johannstadt mit einem markanten Holzbauentwurf, der jedoch nicht verwirklicht wurde. Im Januar erhielt er den Publikumspreis in der norwegischen Nationalpresse für seinen skulpturalen Entwurf zum Neubau der Kirche in Rørvik. www.gpac.de