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Joseph Beuys - Die Revolution sind wir

Von Prof. Eugen Blume

Vielmehr verstand Beuys seine von der Kunst her gedachte Idee einer radikalen Veränderung aller gesellschaftlichen Beziehungen als einen evolutionären Prozess. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und des industrialisierten Völkermords durch die Nationalsozialisten, hat Beuys auch aus der eigenen Schuld heraus versucht, alle Kräfte zu mobilisieren, um, wie er sagte, zu einem „Plan" zu kommen, der die fortlebenden Dichotomien zu überwinden versuchte: den Dualismus zwischen Geist und Materie, zwischen Mensch und Natur, zwischen Armut und Reichtum.

Die Ausstellung betrachtet das Bild- und Sprachwerk von Joseph Beuys erstmals als eine Einheit und versucht die Genese des erweiterten Kunstbegriffs, des zentralen Begriffs im Werk von Beuys, anschaulich und lesbar für den Betrachter aufzubereiten.

Die Ausstellung beginnt in der großen Halle des Erdgeschosses des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart – Berlin mit dem grandiosen Spätwerk „Palazzo Regale", das Denken und Tod ins Zentrum stellt und die Biografie von ihrem Ende, vom Tod her begreift, den Beuys als energetischen Spannungsbogen des Lebens verstand: Weitere Hauptwerke zeigen seine intensive Auseinandersetzung mit Formprozessen unterschiedlicher Materialien, die bis zur Sprache reichen und die seine Plastische Theorie, die Basis aller seiner Erweiterungsideen, begründet haben. Beuys versuchte aus einem totalen Kunstbegriff heraus, alle Bedingungen des menschlichen Lebens zu hinterfragen und sie gleichsam auf einen zukünftigen Menschen zu projizieren. So sind in seinem Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler" die kreativen Kräfte des Menschen angesprochen, die in allen Tätigkeitsfeldern Umgestaltungsprozesse in Gang setzen, die die uneingelösten Forderungen der Französischen Revolution nach Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit verwirklichen sollten.

Beuys hat nicht nur als Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie und später an der von ihm gegründeten Freien Internationalen Universität gewirkt, sondern Parteien und Organisationen gegründet, die sich praktisch für diese Ziele einsetzten. Die Ausstellung zeigt alle diese für einen Künstler ungewöhnlichen Arbeitsgebiete, seine Auseinandersetzung mit den Begriffen Arbeit, Denken, Plastik, Demokratie, Pädagogik, Wirtschaft, Geld, Recht, Christentum. Darüber hinaus werden alle Formen seiner reichen Kunstproduktion von der Zeichnung, Skulptur, Objekt, Environment, Film bis zur Spracharbeit ausgebreitet, die sich immer wieder auf seine Grundgedanken einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft beziehen.

Noch einmal kehrt der einst so bekannte und in den Medien dauernd präsente Mann mit dem Hut, mit seiner signifikanten Kleidung, aber auch einprägsamen Sprache, mit seinen enigmatischen Aktionen in den Raum zurück. Der große Reformer Joseph Beuys wird nach dem Wert seiner Ideen für unsere heutige Gesellschaft befragt. In zahlreichen Filmdokumenten spricht er selbst zum Publikum oder tritt stumm als Aktionist auf, in Hunderten Zeichnungen ist seine Beziehung zu allen Dingen des Lebens ausgebreitet. Das Publikum sieht sich nicht nur einem universalistischen Werk gegenüber, sondern einem Kosmos, der tief in der Geistesgeschichte Europas verankert ist.

Messias und Scharlatan

Von Christine Salzer

 „Jeder Mensch ist ein Künstler", so der von seinen Kritikern als Spinner, Dilettant und Provokateur verschriene Joseph Beuys - ein Schamane und Messias, der auf seiner Sinnsuche Mythen und Rituale hinterfragt. Er benutzte Dinge und Gedanken wie ein Kind Förmchen, um zu schauen, was passiert, und brach Grenzen zwischen den Künsten und zwischen Künstler und Publikum auf. Filz, Fett, Holz und Honig nutzte er für seine „Soziale Plastik", die alle Lebensbereiche umfasste.

Als Soldat wurde er mit einem Flugzeug abgeschossen und schwer verletzt: „Wir haben beim Angriff auf eine Flakstellung einen Treffer bekommen ... Aber was jetzt die Leute sagen, dass ich deswegen Filz und Fett genommen habe, weil ich bei den Tataren zum ersten Mal Filz und Fett gesehen habe, das ist übertrieben. Vielleicht ist ein kleiner Akzent wahr – dass dieses Erlebnis von ranziger Butter und von dem Filz, in den sie mich eingewickelt haben, in mein Seelenleben eingeschlagen ist." Infolge des Absturzes trug er eine Silberplatte im Kopf. Die machte ihn so kälteempfindlich, dass er ständig einen Hut trug.

Der Bildhauer und Maler war bis 1972 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Dann entließ ihn der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau, weil er mit abgelehnten Studenten im Diskurs über Machbares und Nicht-Machbarkeit das Sekretariat besetzt hatte. Die Entlassung sei das „letzte Glied in einer Kette ständiger Konfrontationen", sagte Rau auf einer extra anberaumten Pressekonferenz.

Schamanentum medienwirksam auslastend, verbrachte Beuys 1974 vier Tage mit einem Kojoten in den Räumen einer New Yorker Galerie – „I like America and America likes me" war sein Slogan. Ganze Alleen entstanden 1982 in Kassel zur documenta 7, als er bei der Aktion „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung" Bäume und Basaltstelen verkaufte. Seine Idee von Energiefluss und -speicherung symbolisiert unter anderem der mittlerweile im Bundestag stehende „Tisch mit Aggregat". Er ist eine Dauerleihgabe des Instituts für Auslandsbeziehungen – ein Tisch mit Batterie, zwei Kabeln und zwei Kugeln –, zu sehen im Wandelgang auf der Plenarsaalebene des Reichstagsgebäudes. „400 000 Mark für Sperrmüll", titelte während des geplanten Ankaufs die Presse.

Der mündige Bürger, der Verantwortung für Umwelt und Geschichte trägt, war sein Ziel.

1986 verstarb er in seinem Düsseldorfer Atelier elf Tage nach Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises der Stadt Duisburg an einer Lungenentzündung. Lehmbruck hatte er schon als Zwölfjähriger so verehrt, dass er seinen Katalog bei einer Bücherverbrennung an sich genommen hatte.