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„Wir sind Seele und Emotionen"

Das Gedächtnis unserer Gesellschaft

 

Warum ist Kunst so wichtig?
Porstmann:
Museen übernehmen einen umfassenden Bildungsauftrag. Menschen können in Museen Dinge erleben, die sie vorher noch nicht erlebt und gedacht haben. Mitunter gibt es zunächst eine gewisse Irritation. Wenn unsere Besucher dann merken, es steckt etwas dahinter, beginnt ein spannender Prozess. Die Person stellt für sich fest, dass das kein grundsätzlicher Unfug ist, nur weil es für sie unbekannt und anders ist als erwartet. Dieses Erlebnis ist elementar - die Geburt der Toleranz. 

 

Sind diese Grundwerte bei den Dresdnern nicht verankert?
Porstmann:
Grundwerte sind nicht einfach da, sie müssen stetig vorgelebt
und eingeübt werden. Vorallem Jugendliche müssen es erstmal aushalten, dass sie etwas sehen und nicht sofort begreifen. Das ist eine Schwierigkeit, wenn man permanent mit seinem Smartphone zu tun hat. Der Algorithmus bietet einem immer nur das an, was auf das eigene Profil passt, was der Nutzer kennt und mit dem er vertraut ist. Das faszinierende an Museen ist, dass man dort Dinge kennenlernt, mit denen man nicht vertraut ist. Ich stehe zunächst davor und weiß
nicht, was das ist. Wenn dann ein Museumspädagoge zur Seite steht, der meine Neugier weiter befördert und die Gedanken ein wenig leitet, entdeckt man etwas, was man vorher noch nie gesehen oder gehört hat. Das ist Teil unseres Auftrages, den Besuchern die Möglichkeit zu geben, die Erfahrung der Andershaftikeit zu erleben.

 

Was bedeutet das?
Porstmann:
Ich mache die Erfahrung, dass es etwas anderes in der Welt gibt, als in meiner gewohnten Widerspieglung. Diese Toleranz brauchen wir zunehmend mehr in unserer Gesellschaft. Manchmal hat jemand eine andere Meinung und versteht das Kunstwerk oder eine Installation nicht. Das ist nicht zwangsläufig schlecht.

 

Ein guter Ausgangspunkt fu?r eine Diskussion...
Porstmann:
Richtig! Man schaut, was die Kunst mit einem macht. Die besten Bildungserlebnisse, die ich hatte, waren Dinge die ich zunächst überhaupt nicht verstanden habe bis zum Austausch mit anderen ...Gibt es genug

 

Museumspädagogen, um diesen Dialog zu ermöglichen?
Porstmann:
Es läuft mittelmäßig. Wir kämpfen immer darum, Mitarbeiter zu bekommen. Für den Doppelhaushalt haben wir drei Stellen bekommen. Ursprünglich brauchten wir acht. Eine solche Besetzung wäre toll. Das ist der Weg in die richtige Richtung. Damit könnten wir ganz unterschiedliche Programme parallel aufbauen.

 

Viele Menschen denken, Museum ist langweilig...
Porstmann:
Das stimmt leider, aber wenn sie erst einmal da sind, merken sie, dass es auch mal Spaß machen darf. Wenn man frontal mit einer komplizierten Bildanalyse konfrontiert wird, hat man schnell keine Lust mehr. Man fühlt sich an die alte Schulmaschine erinnert und die Freude ist am Abklingen. Hier ist es die Aufgabe, komplizierte Sachverhalte anschaulich und im besten Sinn des Wortes populär zu erklären. Wir gehen aber auch vollkommen andere Wege und realisieren z.B. in der Städtischen Galerie ein tolles Projekt – Ausdrucksmalen.

 

Für wen ist dieses Projekt?
Porstmann:
Vor allem für Geflüchtete, die ein Trauma überwinden müssen, aber auch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Dinge zu verarbeiten haben. Wir bieten Ihnen einen geschützten Raum und sie können versuchen, Erlebtes über die Farbe aufzulösen. Wir sind dabei zu verhandeln, dass wir diese Bilder ausstellen dürfen.

 

Wer ist sonst Ihre Klientel neben Kindern und Jugendlichen?
Porstmann:
Museen sind Orte für alle Generationen! Ein ganz wichtiger Besucherklientel sind die gut ausgebildeten Rentner. Die sind zunehmend immer fitter. Sie haben mehr Zeit als Menschen in den 30ern, die mitten im Arbeits- und Familienleben stehen. Wenn ich nicht Kunsthistoriker geworden wäre, wäre ich in dem Alter auch seltener in Museen gegangen. Es ist mir ein tiefes Anliegen alle Generationen anzusprechen.

 

Wie schaffen Sie es, generationsübergreifende Angebote zu bieten?Porstmann: Wir leben in einer sehr schnellen, technikaffinen Zeit. Seinerzeit gab es eine gefühlte Kontinuität zwischen den Generationen. Heute erlebt die junge Generation eine völlig andere Umgebung. Deshalb finde ich es so schön, wenn die Großeltern mit ihren Enkelkindern in eines unserer Museen kommen. Wir arbeiten daran, solche generationsübergreifenden Programme weiter aufzubauen. Die Museen sind Orte, an denen gemeinsame Erlebnisse über die Generationsgrenze hinweg stattfinden können.

 

Das funktioniert?
Porstmann:
Natürlich. Ein Kunstwerk spricht glücklicherweise zu allen.
Ich muss nur den verschiedenen Klientelen helfen, die Ohren und
natürlich die Augen aufzumachen. Es entstehen dann viele Parallelgeschichten
zu einem Bild, das ist doch großartig.

 

Hat sich das klassische Museum verändert?

Porstmann: Definitiv hat sich der Begriff Museum gewandelt. Es sind heute Orte, in denen man sich einfach nur aufhalten kann oder wenn man sich öffnet, unterschiedliche Erfahrungen macht – ästhetische, historische, künstlerische, technische. Deshalb sind die Museen der Stadt Dresden so beliebt, weil wir eine große Vielfalt anbieten können. Museen befinden sich in permanentem Wandel. Zuallererst haben wir interessante, spannende analoge Schätze, und weil wir so eng mit unseren Besuchern zusammenarbeiten, sind das Orte geworden, die in Bewegung sind und schnell reagieren können.

 

Wie wird die Zukunft aussehen auf der musealen Schiene?

Porstmann: Auf jeden Fall positiv. Meine Vision ist, dass Museen zunehmend
wichtiger werden in einer durchtechnisierten Welt. Wir sind alle in Lebenswelten unterwegs, in denen es um Selbstoptimierung im Minutentakt geht. Wir sind aber keine Uhren. Wir sind Seele und Emotionen  und die lassen sich nicht takten. Museen sind die Orte, in denen die Menschen einen Ausgleich finden.

 

Sehen das die Menschen auch so?

Porstmann: Ja. Viele Besucher kommen wegen der Kunstwerke und der Exponate, aber eigentlich ist es die Suche nach einem kollektiven Erlebnis und es ist die Suche nach dem Gespräch über einen gemeinsamen Gegenstand. Für dieses Bedürfnis bieten wir eine Fülle von Themen und die Orte an. Das Museum ist ein Forum, wo Menschen miteinander sprechen können. Das wird zunehmend wichtiger. Die unmittelbare Kommunikation mit echten Menschen und nicht nur über Social Media. Plötzlich im Museum zu stehen und mit fünf Leuten gemeinsam über ein Bild oder die Geschichte der Stadt zu diskutieren, ist eine Erfahrung, deren Wichtigkeit wieder präsenter werden wird. Da brauchen wir nur nochmal fünf Museumspädagogen mehr. selbst finden sie dargestellt. Und wir haben einen Ort der binationalen Verständigung - das ist ein wunderbares lebensweltliches Kaleidoskop.

 

Müssen Profis auch Werke ausstellen, die Ihnen nicht gefallen?

Porstmann: Klar. Kunstwerke sind wie Menschen. Manchmal trifft man einen, der einem sofort sympathisch ist. Mit manchen Kunstwerken kommt man gut klar und findet sie schön. Oder aber man trifft einen Menschen und kann ihn gar nicht leiden. So ist es auch mit manchen großen Kunstwerken. Sie kommen einen nicht immer sofort offen und freundlich entgegen. Um manche Menschen und Kunstwerke muss man sich bemühen. Nur die Profis müssen sich mit Kunstwerken
beschäftigen, die ihnen auch manchmal nicht gefallen. Das ist die Profession. Darüber hinaus gibt es Bilder, die muss ich mir Stunden anschauen oder manchmal auch ein Leben lang, um ihrer Botschaft, ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen – aber das ist doch herrlich!

 

Wer ist Ihr Lieblingskünstler?

Porstmann: Ich arbeite zurzeit mit vielen jungen Künstlern. Was die leisten finde ich enorm. Die alten Meister, sei es ein Rembrandt oder Velasquez – das sind einfach großartige Inszenierungen. Oder die Impressionisten, das ist zum Niederknien, was diese Künstler mit ihrer Palette für Atmosphären eingefangen haben – und, und, und ...

 

Was ist das Besondere an Kunst?

Porstmann: Kunst ist niemals eindimensional. Hinter der Atmosphäre
steckt immer noch mehr. Wenn man nach drei Minuten ein Kunstwerk
komplett durchschaut hat, kann man davon ausgehen, dass es keine
Kunst ist. Selbst ein guter Witz hat mehr Hinterland als nur die Pointe.

 

Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?

Porstmann: Das Schönste ist zugleich auch das Schwerste. In meinem Job kommt man nie in eingefahrene Gleise. Es gibt immer die Konfrontation mit Künstlerinnen und Künstlern, Historikerinnen und Historikern und den Konzepten für die verschiedenen Museen im Verbund. Wir sind mit unseren Museen immer am Nerv der Zeit und versuchen, unsere Welt zu verstehen und ein Stück zu interpretieren. Es ist das permanente Einlassen auf Neues, das Ergründen unserer Gegenwart.
Wir wollen ein Stück Vision liefern durch Ausstellungen und Kunst. Man begibt sich auf den Weg in Neuland ohne das Alte sein zu lassen. Das fordert uns heraus, ist anstrengend, aber auch unglaublich inspirieren. Das beflu?gelt einen.

 

Wie wählen Sie Ihre Ausstellungen?

Porstmann: Ich muss die Arbeit erst erschaffen, die ich mache. Ich muss ein Programm entwickeln, was die Dresdner und die Gäste der Stadt auch noch 2024 interessiert. Die Ausstellungen sollten bestenfalls Erfolg haben. Nicht alle sind Publikumslieblinge, aber das ist eine Herausforderung. Die Besucher sollen sich vor allen Dingen ernst genommen und angeregt fühlen. Sie sind im besten Sinn des Wortes unsere Partner, aber sie sollen sich auch wohlfühlen.

 

Wie schaffen Sie das?

Porstmann: Wir fordern unsere Besucher. Sie müssen sich anstrengen,
aber sie sind hinterher glücklich. Wir nehmen unsere Besucherinnen
und Besucher ernst.

 

Was machen Sie, wenn Ihnen die Ideen ausgehen?

Porstmann: Dann stelle ich mich ins Depot vor eine Wand mit Bildern
und hole mir neue Inspiration.

 

Wollen Sie diesen Job schon immer machen?
Porstmann:
Ja. Einfach war es nicht dahin zukommen. Ich durfte in der DDR nicht studieren, aber ich habe mich immer wieder beworben. In der Zwischenzeit war ich hier in den staatlichen Kunstsammlungen als Aufsicht und Garderobier tätig. Dann wurde ich Ausstellungstechniker, später durfte ich in Pillnitz durch die Ausstellungen im Bergschloss führen und irgendwann durfte ich endlich auch Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Literatur studieren.1991 war ich mit
dem Studium fertig und die DDR war verschwunden und plötzlich war ich in einem neuen System freischaffend. Das war eine wilde Zeit! Später wollte ich wieder zurück in die Institution Museum und konnte nach Leipzig ins Bildermuseum gehen. Seit 2002 bin ich Gründungsdirektor der Städtischen Galerie Dresden und leite seit 2008 den gesamten Museumsverbund.

 

Macht es Ihnen immer noch Spaß?
Porstmann:
Auf jeden Fall! Der Gegenstand bedingt, dass man nie in
eine Routine verfällt. Es wird nie langweilig und Ideen sind noch viele,
viele vorhanden.

 

Warum sind Museen so wichtig?

Porstmann: Museen sind das soziale Gedächtnis der Kommune. Im persönlichen Bereich beschreibt man den Verlust des Gedächtnisses als absolute Katastrophe – Alzheimer. Ähnlich ist es mit dem Gedächtnis der Kommune, nur dass man das nicht sofort merkt. Außerdem hat man nicht alle Erinnerungen, die irgendwo im Unterbewusstsein sind, parat. Wir stoßen mit den Ausstellungen, mit unserer Arbeit auch die Erinnerungen an.

 

Wozu brauchen wir diese Erinnerungen?

Porstmann: Wir brauchen sie, um zu leben. Die Gesellschaft muss sich erinnern, ansonsten geht es nicht gut aus. Man sollte aus der Geschichte lernen.

 

Hat unsere Gesellschaft viel gelernt?

Porstmann: Ja, aber es ist offensichtlich trotzdem viel schiefgelaufen. Es bringt nichts, nur zu sagen, wann der Krieg begonnen hat usw. Wir müssen an die Emotionen der Menschen dieser Zeit ran. Das ist eine ganz andere Geschichtsschreibung als nur die Fakten. Wir müssen versuchen zu verstehen, wie es damals im Schützengraben war. In den Lehrbüchern liest man über die Umstände und sitzt im Warmen. Man muss ein froher Mensch bleiben, aber sich trotzdem damit auseinandersetzen. Das ist unser Ziel und darauf arbeiten wir hin.

 

Sie meinen, man muss die Emotionen transportieren?

Porstmann: Genau, in Kunstausstellungen geht es nicht nur um ein tolles, intellektuelles Konzept, sondern es hat immer mit Emotionen und Herz zu tun. Teilweise kommen Fans von Künstlern zu Ausstellungen und sind völlig gerührt. Emotionen zuzulassen ist zunehmend verschwunden. Denn in diesem Moment ist man angreifbar, aber das gehört dazu.

 

Man muss also umdenken?

Porstmann: Das erste Umdenken könnte noch mehr in den Schulen passieren. Man müsste mehr Zeit für diese kreativen, emotionalen Dinge einplanen. Aber Mathe und Physik werden höher geschätzt, als Musik und Kunst. In dieser zeitoptimierten Welt, braucht man aber Zeit, sich zu finden. Zum Glück gibt es die Museen.


Das Interview führte Louisa Fließbach