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Wohlfühlen ist wichtig

Die eigenen vier Wände, das Großraumbüro oder der Bäcker nebenan. Es ist uns fast nicht bewusst, dass wir einen Großteil, vielleicht den größten Teil unseres Lebens in Räumen verbringen. Mal fühlen wir uns wohl, mal weniger. Manche Orte bleiben uns in Erinnerung, andere nehmen wir kaum wahr. Dass dem so ist, ist meistens kein Zufall. Wir verdanken es Innenarchitekten wie Annette Katrin Seidel. Disy traf sie zusammen mit ihrem Mann Uwe Seidel, Inhaber von SEIDEL+ARCHITEKTEN. Ein Gespräch über Ameisen im Dynamostadion und Wohlfühlen beim Zahnarzt.

Wie Innenarchitekten Räume erst lebenswert machen

Beim Mexikaner überwiegen die warmen, holzigen Töne. An den Wänden hängen Sombreros und die Eingangstür schwingt nach, wie in einem Western. In der Chillout-Lounge gegenüber nehmen die Gäste auf modernen, weißen Stühlen und Sitzkissen Platz. Neonfarben und Diskoelemente prägen das Bild. Es sind Details, die uns häufig gar nicht auffallen. Doch sie alle haben einen Ursprung, eine Handschrift - die des Innenarchitekten. "Bauherren unterschätzen die Bedeutung des Innenarchitekten häufig", klagt Uwe Seidel. Der Diplom-Ingenieur und Architekt muss es wissen. Schließlich hat er sich selbst eine Expertin für Innenarchitektur ins Firmenboot geholt. "Dass es Architekten und Innenarchitekten in einer Firma gibt, ist ausgesprochen selten und eigentlich ein Glück für unsere Bauherren. Die meisten Innenarchitekten sind Einzelkämpfer", erklärt Uwe Seidel weiter. " Diese Interdisziplinarität bietet das reibungslose Zusammenarbeiten, das Hand in Hand tätig sein, möglichst von der ersten Entwurfsidee bis zur Fertigstellung der Bauaufgabe, egal welcher Art diese ist." Beispielsweise wird bei der Planung des eigenen Hauses nur ein Architekt zu Rate gezogen, doch gerade auch hier ist die Erfahrung eines Innenarchitekten hilfreich, um die Räume nicht nur nutzbar, sondern auch funktional und emotional auf die Bedürfnisse des Bauherren abzustimmen. "Bei der Planung der Innenräume fangen die meisten mit der Küche an und vergessen, dass es drum herum auch noch andere Räume gibt", so Annette Katrin Seidel. "Das ist, als würden Sie den Motor aussuchen aber das passende Auto und dessen Ausstattung vergessen." Ein Gebäude muss in die Umgebung, die Räume zum Haus und Nutzer, sowie zueinander passen.

„Bauherren unterschätzen die Bedeutung des Innenarchitekten sehr häufig.“

"Wir Innenarchitekten sind keine Raumausstatter. Ich bin nicht dafür da, den Leuten zu erzählen, welche Gardine zu ihrer Bettwäsche passt", so die Expertin. Als Innenarchitekt passt man den Raum seiner späteren Funktion an. Erst wenn diese klar ist, macht die Gestaltung Sinn. Das richtige Mobiliar ist dabei nur ein kleiner Teil. "Zuerst erstelle ich ein Gesamtkonzept in Zusammenarbeit mit dem Bauherren." Was will der Bauherr mit diesem Raum? Was benötigt er dafür? Und was ist überhaupt sinnvoll? "Erst wenn diese Fragen geklärt sind und ich mir selbst ein Bild gemacht habe, beginnt meine Arbeit." Viele Fragen gilt es dann zu klären. Wo müssen Anschlüsse für Strom und Wasser hin? Welche Wände müssen entfallen, eingefügt oder verändert werden? "Bei meiner Arbeit überwiegt der kreative und künstlerische Part, wobei alle Entwürfe auch nutzbar und umsetzbar sein müssen, sonst wären sie nur Kunst." Schon eine Lampe an der falschen Stelle kann den Wohlfühlfaktor eines ganzen Zimmers negativ beeinflussen. "Erst nach der Fertigstellung wird den meisten Menschen bewusst, wie gut und wichtig es ist, alles aus einer Hand zu haben", so Uwe Seidel.

„Das ist, als würden Sie den Motor aussuchen, aber das passende Auto und dessen Ausstattung vergessen.“

"Jeder Raum, jede Planungsaufgabe ist interessant. Ich liebe Herausforderungen. Außerdem ist mir ein breites Spektrum wichtig", so Annette Katrin Seidel weiter. Schwierig wird es, wenn sie aus der Entfernung arbeiten muss. "Ich sitze gerade an einem Entwurf für Räume, die in den USA sind. Ohne dort gewesen zu sein, fällt es natürlich ungleich schwerer. Es ist immer besser, das Objekt zu sehen und den Auftraggeber in seinem Arbeits- oder Wohnumfeld zu erleben." Dabei stoßen Annette Katrin Seidels Ideen nicht immer auf Zustimmung. "Ich mag spektakuläre Entwürfe, die zur Diskussion anregen. Manche Aufgaben verlangen sogar nach einzigartigen, außergewöhnlichen Ideen", erzählt die Expertin. "Ich habe zum Beispiel eine Loge im Glücksgas-Stadion in Dresden entworfen. Ich habe das Thema 'Fußballrasen' gewählt. Die Wände, die Lichtgestaltung und das Mobiliar erwecken den Eindruck, man sei ein Insekt, eine Ameise, die im Rasen krabbelt. Die Proportionen wurden hierbei so übertrieben, dass die Größenverhältnisse der Gestaltung der Größe und Sichtweise einer Ameise nachempfunden sind", erzählt die Innenarchitektin. Aktuell arbeitet das Architektenbüro an einem neuen Einkaufszentrum in Pirna. "Dort wollen wir das Thema Sächsische Schweiz umsetzen. Das schlägt sich natürlich auch bei der Material-, Farb-, und Lichtgestaltung im Inneren nieder." Häufig sind es Aufträge von Banken, Restaurants und Arztpraxen. "Die immer gleichen, langweiligen Räume machen die Menschen depressiv. Wer als Patient in eine lieblose Praxis kommt, hat doch psychologisch bereits verloren. Die Menschen müssen sich wohlfühlen, erst recht auf Arbeit oder eben auch beim Zahnarzt", so Annette Katrin Seidel. Aktuell geht der Trend wieder zum Arbeiten mit natürlichen und ökologischen Materialien. Graue und sterile Räume sind unerwünscht. Grün, nachhaltig und organisch soll es sein. "Ich muss immer im Trend bleiben, wie in der Mode. Viel Zeit verbringe ich deshalb mit der Lektüre von Fachzeitschriften oder auf Messen", erzählt Seidel. "Auch mit über 20 Jahren Berufserfahrung gibt es immer etwas Neues. Genau das macht diesen Beruf so interessant und vielseitig."