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Nach Schlaganfall wieder sprechen lernen

Neuroplastizität therapeutisch nutzen

 

Sprachstörungen sind eine häufige Folge von Schlaganfällen. Ein vielversprechender neuer Therapieansatz zur Wiedererlangung des Sprachvermögens nutzt die Neuro- plastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, seine Strukturen ein Leben lang ändern zu können. Er setzt an der „Reparatur“ der durch Einblutung oder Blutgerinnsel gestör- ten Gehirnregelkreise für die Sprache an. Dabei misst ein EEG, das mit einem PC ver- bunden ist, live die Gehirnaktivität des Patienten (Brain-Computer- Interface (BCI)), während dieser Sprachübungen macht – und gibt ihm zeitgleich eine Rückmeldung, wie erfolgreich er dabei ist. Durch dieses Sofort-Feedback können die Patienten die geeignete Strategie finden, mit der eine Erholung ihrer Sprachfunktion möglich ist. Wie sich Patienten nach Schlaganfall erholen können, ist ein Thema auf der heuti- gen Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e. V. (DGKN) in Freiburg. Die Formbarkeit des Gehirns, Neuroplastizität und Neurostimulation sind ein Schwerpunkt auf der 63. Wissen- schaftlichen Jahrestagung der Fachgesellschaft.

 

Der Schlaganfall ist der häufigste Grund für bleibende Behinderung im Erwachsenenalter. Trotz Sofortbehandlung in flächendeckenden Kompetenzzentrenerholt sich nach wie vor nur ein Teil der Patienten, und es bleiben oft Defizite zurück.

 

Jeder Schlaganfall ist anders, sowohl was das Ausmaß als auch die betroffenen Bereiche angeht. „Wie wir heute wissen, stellt er jedoch fast immer eine komplexe Netzwerkstörung dar“, sagt Professor Dr. Cornelius Weiller, Kongresspräsident der 63. Wissenschaftlichen Jahrestagung der DGKN in Freiburg. Beim Gesunden werden Gedanken, Wahrnehmung und Handlungen fortwährend über interne Regelkreise (“closed-loops“) im Gehirn abgeglichen, sodass Verhalten und Hirnaktivität aufeinander abgestimmt sind. Der Schlaganfall zerstöre nicht nur das direkt geschädigte Hirnareal, sondern beeinflusse vor allem auch die Netzwerkstruktur und -funktion des Gehirns. „Eine komplexe Leistung wie etwa die Sprache besteht aus vielen Einzelfunktionen wie Worterkennung oder Lippenbewegung, die in verschiedenen Teilen des Gehirns angesiedelt sind. Diese Regelkreise werden durch ein Netzwerk koordiniert – und bei einem Schlaganfall entsprechend beeinträchtigt“, erläutert der Direktor der Neurologischen und Neurophysiologischen Universitätsklinik Freiburg.

 

Entsprechend umfassend und anspruchsvoll gestalte sich die Behandlung: „Wir kommen deshalb weg von einer Rehabilitation, die für alle Patienten identisch ist, hin zu einer nach Möglichkeit maßgeschneiderten persönlichen Therapie.“ Dafür nutze man die Erkenntnisse über die sogenannte Neuroplastizität des Gehirns: „Die Hirnforschung hat gezeigt, dass im Falle einer Schädigung eines Teiles des Gehirns andere Teile die Funktion für das geschädigte Gebiet übernehmen können. Und diesen Prozess der Übernahme können wir durch gezielte Modulation zunehmend beeinflussen“, sagt der Facharzt für Neurologie, Intensivmedizin und Geriatrie.

 

„Ein Ansatz besteht darin, den Patienten das gestörte Netzwerk durch ein Feed-Back-System selbst „reparieren“ zu lassen“, berichtet Weiller über eine Studie, bei der Dr. Mariachristina Musso und Dr. Michael Tangermann von der Universität Freiburg erstmals den Einsatz der BCI-Technologie (Brain-Computer-Interface) für die Rehabilitation von Patienten mit Sprachstörung getestet haben. Der Patient muss das richtige Wort am Ende eines Satzes erkennen und bekommt „live“ eine Rückmeldung über seine dafür eingesetzte Gehirnaktivität. „Konkret werden von dem BCI-System typische Gehirnaktivitäten gemessen, die beim Verarbeiten von Zielwörtern und Nicht-Zielwörtern anders als bei Gesunden ausfallen. Das System gibt dem Patienten ein Feedback, ob er die Aufgabe gut gelöst hat, also ob er beim richtigen Wort eine dem Zielwort entsprechende Hirnaktivität verwendet hat“, so Weiller weiter. Der Therapieerfolg bleibe dabei nicht auf die Übung selbst beschränkt, sondern „generalisiere“.

Dank gezielter Hirnstimulation wieder gehen und sprechen lernen?

Neuroplastizita?t bei Schlaganfall

Professor Dr. Med. Cornelius Weiller, Kongresspräsident der 62. Jahrestagung der DGKN, Präsident der DGKN, Direktor der Neurologischen und Neurophysiologischen Universitätsklinik Freiburg

Funktionen des Gehirns wie Bewegung, Sprache, Gedächtnis oder Emotionen entstehen ganz überwiegend durch das räumlich und zeitlich koordinierte Zusammenwirken verschiedener, zum Teil relativ weit voneinander entfernter Hirngebiete, das heißt durch Interaktion in sogennanten Netzwerken. Neue Methoden führen zu einer explosionsartigen Vermerung von Wissen ( Symp: Zukunfz des MR, Do, 15:15; Symp: Emerging Technologies, Do, 15:15; Symp: deep leraning in der Neurologie, Sa 11:00).

Die Hirnforschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass diese Netwerke sich auch beim Menschen anpassn können. Diese Art von „Plastizita?t“ gibt es nicht nur auch beim alten Menschen, sondern sie la?sst sich auch gezielt im Alter fo?rdern (Symposium: Fo?rderung der Plastizita?t im hohen Alter, Freitag, 17:00). Wir wissen heute, dass Musiker ein „anderes“ Gehirn haben (Symposium: „Neuroplastizia?t des Musizierens, Fr 8:00), dass sich das gesunde Gehirn (voru?bergehend) „optimieren“ la?sst (Symposium: Dynamische Netzwerkaktivita?t wa?hrend des motorischen Lernens, Do, 8:30) und dass Lernen „im Schlaf“ auftritt (Symposium: Netzwerkeffekte als Grundlage der Modulation von Plastizita?t, Schlaf und Vigilanz durch tDCS, Fr. 15:15).

 

Wir haben auch gelernt, dass sich das Netzwerk im Falle einer Scha?digung des Gehirns anpasst. Ja, viele neurologische und psychiatrische Krankheiten wie Morbus Parkinson, Schlaganfall, Migra?ne, Depression, Angsterkrankungen oder Sucht lassen sich als eine Netzwerksto?rung beschreiben (Symp: Neurobiologische Grundlagen von Interaktionssto?rungen, Do, 15:15; Symp: Nicht-invasive readouts des motorischen Kordel bei Schlaganfallpatienten Do, 15:15; Symp: Chancen und Grenzen der Funktionserholung nach ZNS-La?sionen, Do, 17:15).

 

Und schließlich hat erst die Hirnforschung gezeigt, was lange vermutet wurde, dass im Falle einer Scha?digung eines Teils des Gehirns, andere Teile die Funktion fu?r das gescha?digte Gebiet u?bernehmen, und dass diese U?bernahme beeinflusst werden kann. Weiß man die Mechanismen, ermo?glicht die Kenntnis der gesto?rten Netzwerkarchitektur Vorhersagen u?ber die Nachhaltigkeit von Therapiemaßnahmen. So muss eine bestimmte Verbindung vom Gehirn zum Ru?ckenmark intakt sein, damit die „forced-usetherapie“ (das heißt der „erzwungene“ Gebrauch der gela?hmten Extremita?t) oder ein elektrische oder magnetische Stimulation der motorischen Hirngebiete langfristig wirkt. Das Spiegelneuronensystem muss intakt sein, damit die Spiegeltherapie wirkt. Die Neurorehabilitation ist auf dem Weg zur individualisierten Rehabilitation (Symp: Brauchen wie ein Rehab Imaging?, Sa 9:00).

 

Die externe Beeinflussung dieser Netzwerke bei Krankheiten ist ein hochaktueller und vielversprechender Forschungsansatz (Symp: Exzitabilita?t versus Plastizita?t unter Gleichstromstimulation, Fr, 8:00; Symp: motorische Kognition-Repra?sentation, Verlust und Erholung, FR. 15:15; Netzwerksto?rung und Modulation bei Aphasie, Fr 17:15, Lunchsymposium zur tiefen Hirnstimulation bei Depression, Do, 11:45; Symp: Non-Invasive cerebellar stimulation, Do, 17:15).

 

Ein anderer Ansatz trachtet danach, den Patienten das gesto?rte Netzwerk selbst „reparieren“ zu lassen. Beim Gesunden werden Gedanken und Wahrnehmung/ Handlungen fortwa?hrend u?ber interne Regelkreise („closed-loops“) im Gehirn abgeglichen, sodass Verhalten und Hirnaktivita?t zueinander kongruent sind. Beim Patienten sind diese geschlossenen Regelkreise unterbrochen, das Verhalten ist abnormal („La?hmung“, „Sprachsto?rung“). Da die internen Regelkreise unterbrochen sind, brauchen die Patienten einen externen Ersatz, ein mechanisches Bein, einen Roboter oder ein „Feedback“, zum Beispiel durch Besta?tigung oder Korrektur der Therapeuten. Das Ziel des neuen Ansatzes ist es, ein voru?bergehendes Externalisieren zu nutzen, um die gesto?rten internen Abla?ufe so zu beeinflussen, dass die Patienten wieder internalisieren, das heißt Verhalten und Hirnaktivita?t wieder kongruent wer- den zu lassen. Dadurch bleibt der Therapieerfolg nicht auf die U?bung selbst beschra?nkt, sondern wird „generalisiert“.

 

Eine Studie von Dr. Musso vom Neurozentrum und Dr. Tangermann

von der Universita?t versucht Patienten zu trainieren, einen bestimmten Aktivita?tsstatus des Gehirns mit einem bestimmten Sprachstimulus in Einklang zu bringen. Dafu?r verwenden die Forscher Brain-Computer-Interface Methoden, die ein nahezu online Feedback u?ber den Aktivita?tsstatus des Gehirns, zum Beispiel schon wa?hrend der Intention ermo?glichen. Wa?hrend des Trainings ho?rt der Patient zuerst einen Satz, dem das letzte Wort (Zielwort, zum Beispiel: Stempel) fehlt. Im Folgenden wird eine Sequenz unterschiedlicher Worte abgespielt, die neben dem Zielwort auch Nicht-Zielworte entha?lt. Der Patient hat die Aufgabe, aufmerksam zuzuho?ren, die geho?rten Worte mit dem gespeicherten Zielwort zu vergleichen, um das Zielwort zu erkennen und die Nicht-Zielworte zu ignorieren.

 

Konkret werden von dem BCI-System sogenannte ereigniskorrelierte Potentiale des EEGs (P300 und N200) analysiert, die beim Verarbeiten von Zielwo?rtern und Nicht-Zielworten beim Gesunden unterschiedlich ausfallen. Das System gibt dem Patienten ein Feedback, ob er die Aufgabe gut gelo?st hat (beim richtigen Wort eine der Zielwort entsprechende Hirnaktivita?t verwendet hat). Patienten ko?nnen mit dieser Information nun die erfolgreiche Strategie erkennen und weiter ausbauen, um afferente Prozesse bei Wortwahrnehmung mit efferenten Prozessen synchron und effizient wieder zu verbinden. Das bedeutet, es wird trainiert, interne Gedanken und sensiblen Reiz intern zu verbinden. Der Vorteil gegenu?ber einem Training mit Therapeuten ist, dass der Patient kein Output generieren muss, und dass die Reaktion von seiner Hirnaktivita?t abha?ngig ist.

 

 

Dieses intensive und anstrengende Training scheint bei den zehn getesteten Patienten zu einer alltagsrelevanten Verbesserung der gesto?rten Sprachkompetenz zu fu?hren, die weit u?ber das Trainierte hinausgeht und nicht durch unspezifische Fak- toren, wie Aufmerksamkeit oder kognitive Geschwindigkeit bedingt wird. Ein Patient hat sich bereit erkla?rt, u?ber seine Erfahrungen bei diesem Training zu berichten.