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Im Blick zurück, nach vorne schauen!

Dr. Julia Schellong erforscht und therapiert psychische Traumata am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden 

 

Traumabedingte Störungen können auf verstörende Ereignisse wie sexuelle Gewalt, erschütternde Unfälle, Gewalterleben oder Naturkatastrophen folgen. Zwar entwickelt nicht jeder eine Traumafolgestörung, aber einige Betroffene leiden an Alpträumen, wiederkehrenden Schreckensbildern, plötzlichen Angstzuständen und Schlaflosigkeit. Sie erfahren in ambulanter und stationärer Therapie der Psychotraumatologie der Psychosomatischen Universitätsklinik, wie man sich mit unbewältigten Ereignissen produktiv auseinandersetzt. 

 

Welche Trauma-Fälle behandeln Sie aktuell?
Dr. Schellong
Wir behandeln sowohl Patienten, die eben vor Kurzem Schreckliches erlebt haben wie auch Menschen die vor längerer Zeit von verstörenden Ereignissen betroffen waren. Es geht um Menschen, die überfallen wurden, aber auch um Opfer häuslicher Gewalt, Menschen, die als Kinder körperlich oder sexuell misshandelt wurden oder um Menschen, die als Flüchtlinge von Kriegshandlungen heimgesucht wurden.

 

Gibt es Menschen, die besonders anfällig für Traumata sind? 

Dr. SchellongEs wirken gleichermaßen Schutzfaktoren wie Risikofaktoren. Hier spielt die Unsicherheit der aktuellen Umgebung hinein. Beispielsweise bieten Großfamilien Schutzfaktoren in dem Sinne, dass es jemanden gibt, der sich um den Betroffenen kümmert. Er ist nach dem Ereignis nicht alleine und erfährt Zuwendung. In diesem Fall ist damit die Möglichkeit geringer, dass sich Folgestörungen bilden. Weiterhin ist die Art des Traumas von Bedeutung. Das Erleben sexueller Gewalt gilt als Risikofaktor, vielleicht sind daher durchschnittlich mehr Frauen als Männer betroffen. Wenn ich etwa einer Naturkatastrophe ausgeliefert wurde, kommt es seltener zu Folgestörungen, als wenn die zugefügte Gewalt durch Menschen entstand.

 

Welche Bewältigungsformen begegnen Ihnen bei der Therapie? 

Dr. SchellongDies kann eine akute Belastungsreaktion sein, bei der man quasi wechselnd „wie neben sich steht“ mal voller intensiver Erinnerungen an das Ereignis ist. Dann will man wiederum einfach nur seine Ruhe haben. Häufig ist es ein Oszillieren zwischen verschiedenen Zuständen. Bei einem Teil der Patienten
kann sich daraufhin eine posttraumatische Belastungsstörung mit ihren klassischen Symptomen entwickeln: man erlebt das Ereignis wieder, als wäre es gerade eben erst passiert. Die Patienten meiden alles, was mit der Erinnerung an das Trauma zusammenhängt - Handlungen, Orte oder Personen. Sie erleben ein Gefühl des Betäubtseins, sind niedergeschlagen, oder aber auch ganz aufgeregt und hochgradig gespannt. 

 

Nehmen die Betroffenen diese Symptome zum Anlass, um zu Ihnen zu kommen?
Dr. Schellong
Oft brauchen Betroffene einen Anstoß, um sich an die Traumaambulanz zu wenden. Häufig fragen sich die Patienten nach dem verstörenden Ereignis zunächst: „Bin ich verrückt?“, „Stimmt etwas zwischen mir und der Umwelt nicht mehr?“ Zwar gibt es Patienten, die das Ereignis schildern können, aber die meisten beschreiben zunächst ihre Irritation, die Veränderung in der Wahrnehmung der Umwelt und eine Veränderung ihrer persönlichen Sicherheit im Alltag. 

 

Beeinträchtigen diese Veränderungen auch im Beruf? 

Dr. SchellongJa, weil es in der Regel den Nachtschlaf betrifft und Alpträume die Leistungsfähigkeit im Beruf verringern. Ein hoher Anspannungsgrad senkt die Toleranzschwelle, Ängste verunsichern zusätzlich. Abgesehen davon können die Erinnerungen, die während des Alltags auftreten, so belastend sein, dass die Betroffenen auf einen überbordenden Suchtmittelkonsum ausweichen. 

 

Wie gehen Sie bei der Behandlung vor?
Dr. Schellong
Wie überall in der Medizin üblich, führen wir zunächst eine Anamnese durch. Wir fragen also nach der Lebensgeschichte, fragen aber neben den belastenden Erlebnissen auch ganz konkret nach positiven Ereignissen. Wie bei einer Schmerzskala, lässt sich auch der persönliche Belastungsgrad durch Ereignisse auf einer Skala zwischen 0 und 10 ausdrücken. Dies bietet einen einfachen Gradmesser, der es auch erlaubt, den Behandlungsverlauf einzuschätzen. Sehr belastende Erlebnisse werden gezielt in Einzelsitzungen bearbeitet.

 

Aber scheuen die Patienten nicht gerade davor zurück, traumatische Ereignisse zu erzählen? 

Dr. SchellongJa, oft gibt es so etwas wie eine Emotionsphobie, eine Angst vor Gefühlen, die mit der traumatischen Situation zusammenhängen. Ziel ist es jedoch nicht, ein Ereignis heraufzubeschwören, an das sich Patienten bisher gar nicht erinnern. Immer wieder wird eine Diskussion darum geführt, ob ein Arzt Patienten ein Ereignis einreden, also suggerieren kann. Andererseits können einige Menschen, die nachweislich etwas erlebt haben, sich nicht mehr daran erinnern. Es ist nicht nötig, alles Vergangene immer präsent zu haben, denn kein Mensch kann das ertragen. Wichtig ist, dass er mit dem, an das er sich erinnern kann, gut umgehen kann. Menschen mit einer Traumafolgestörung meiden oft die Erinnerung. Sie wollen einen Teil ihres Lebens wegschieben, können es aber nicht, weil es ihnen immer wieder klar manchmal wie im Film vor Augen steht.
Obwohl es in ihrem Leben passiert ist, wollen die Patienten das verstörende Ereignis nicht als etwas akzeptieren, das zu ihnen gehört. Diesen Zwiespalt versuchen wir zu überbrücken, indem wir gemeinsam mit ihnen daran arbeiten, die Dinge als geschehen zu akzeptieren und trotzdem zu sich zu stehen. Es gilt Selbstheilungskräfte zu aktivieren, zu sehen, dass sie trotz allem ihr Leben meistern können. Man kann sagen „Im Blick zurück, nach vorne schauen!“ 

 

Wird das Ereignis in der Vergangenheit durch eine positive Sicht auf die Zukunft überblendet?
Dr. SchellongNein, vielmehr nutzen wir für die Therapie die emotionale Kraft der Arbeit mit der Erinnerung. Es ist zwar etwas geschehen, greift aber nicht mehr so katastrophal, nicht mehr so vernichtend in das Leben ein. Es geht darum, mit dem Patienten zu erarbeiten, dass er trotz des Erlebnisses ein wertvoller Mensch ist. Wenn ein Täter Auslöser war, darf er nicht über die Zukunft hinaus Recht bekommen, negativ zu wirken. 

 

Schließt eine solche Behandlung auch Nachfolgemaßnahmen ein?
Dr. Schellong
Wir haben vielfältige und gestufte Nachbehandlungsmöglichkeiten, unter anderem auch Kooperation mit Firmen, etwa um eine Arbeitsbelastungserprobung durchzuführen. Hier wollen wir erfahren, wie die Patienten das während der Therapie Erlernte während des Berufsalltags anzuwenden verstehen. Von Station über Ambulanz bis zur Rehabilitation erwartet den Patienten eine Behandlungskette, die ganz auf eine gute Wiedereingliederung in den Alltag und damit auf eine deutliche Hebung der Lebensqualität ausgerichtet ist. 

 

Lässt sich die Therapie auch mit Medikamenten durchführen?
Dr. Schellong
Medikamente einzusetzen kann sinnvoll sein, wirkt aber nur im Zusammenhang mit psychotherapeutischen Maßnahmen wirklich. Die Psychotherapie ist zur Bewältigung der Traumata am effektivsten. Aus unserer Erfahrung und Studien nach hat sich die Konfrontation des Patienten, also die intensive Auseinandersetzung mit dem Ereignis als wirksamste Methode gezeigt.

 

Wenn für das Trauma ein Täter Auslöser war, befürworten Sie in dem Fall eine Treffen zwischen Traumatisiertem mit dem Verursacher?
Dr. Schellong
Wir konfrontieren die Patienten in solchen Fällen in der Regel nur mit der Erinnerung an das durch den Täter verursachte Ereignis. Da wir jedoch z.B. bei Gerichtsverhandlung mit den Prozessbetreuern um den Geschädigten kooperieren, kann es auch zu einer Konfrontation mit dem Schädiger kommen. Dann unterstützen wir dabei, natürlich nur wenn der oder die Geschädigte einverstanden ist, die Begegnung erträglich durch zu stehen oder gar zu gestalten. Im Fall eines übergriffigen Verhaltens des Vaters auf seine Tochter konnten wir in solch einer direkten Konfrontation Verhaltensmaßregeln aushandeln helfen, die zu einer unbeschwerten Lebensperspektive des Mädchens geführt haben.

 

Unterscheidet sich Ihr Therapiekonzept von vergleichbaren Einrichtungen?
Dr. Schellong
Als größter Standort für akut-psychosomatische Behandlung in Sachsen interagieren wir produktiv mit dem Krisendienst der Stadt bis hin zu den angeschlossenen Rehabilitationseinrichtungen. Wir führen selbst eine Traumaambulanz Seelische Gesundheit für Erwachsene und Kinder, die hoch frequentiert ist. Opfer von Gewalttaten werden nach dem Opferentschädigungsgesetz bevorzugt beraten und bei Bedarf behandelt.
Im Rahmen eines vom Sozialministerium geförderten Projekts sind wir dabei, das Modell unserer Traumambulanz auch in anderen Standorten in Sachsen zu platzieren. Nach amerikanischem Vorbild werden wir eine Unterstützungs-App einrichten, die den Patienten die Möglichkeit zu Information und erstem Selbstmanagement am Handy einräumen soll. Wir haben eine Homepage installiert, auf der inzwischen über 400 Beteiligte thematisch verzahnt sind. Mit unserer fachlichen Vernetzung und den effektiv strukturierten Behandlungsketten sind wir, denke ich, deutschlandweit vorbildlich. 

 

Dr. Julia Schellong 

arbeitet nach einem Medizinstudium an der Universität Wien als Fachärztin an der Psychosomatischen Medizinklinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik an der Universitätsklinik Carl Gustav Carus in Dresden. Hier gibt es ein multidisziplinäres Team aus Schwestern, Ärzten, Psychologen und Spezialtherapeuten, Körper- und Kunsttherapeuten. Dr. Schellong ist Pastpräsidentin und Vorstandsmitglied der Deutschsprachigen Gesellschaft Psychotraumatolgie, Vorsitzende im „Förderverein Traumanetz Seelische Gesundheit e.V.“ und Mitherausgeberin und Autorin der Buches „Komplexe Traumafolgestörungen. Diagnostik und Behandlung von Folgen schwerer Gewalt und Vernachlässigung “ Schattauer 2013 Dr. Schellong leitet den Forschungsbereich Trauma und Traumafolgestörung Untersuchungsthemen sind hier Störungen im Zusammenhang mit dem Erleben von massiver, wiederholter und meist schon im Kindesalter einsetzender häuslicher Gewalt (sogenannte komplexe Traumatisierungen).