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Horst Seehofer: „Bei Heimat geht es um die Verankerung und Verwurzelung.“

Horst Seehofer hat gekämpft wie ein löwe. Warum der ganze Ärger? Was wollte er mit dem Streit und was will er in seiner Funktion eigentlich erreichen? lesen Sie mal!

 

Ich beginne mit zwei Schlüsselsätzen aus dem Koalitionsvertrag. in der Präambel, gleich auf der ersten Seite, heißt es: "Den sozialen Zusammenhalt in unserem Land wollen wir stärken und die entstandenen Spaltungen überwinden. Wir nehmen die Ängste der Menschen ernst und wollen ihnen durch unsere gemeinsame Arbeit umfassend begegnen.“
Im Kapitel zur Zuwanderungspolitik heißt es etwa 100 Seiten später:"Integrationsfähigkeit ... beinhaltet ... auch unseren Anspruch, die Le- bensbedingungen der hier lebenden Menschen ... zu berücksichtigen." Ich denke, diese beiden zentralen Botschaften manifestieren, was sich in den vergangenen Wochen und Monaten, ja vielleicht sogar in den letzten Jahren zunehmend gezeigt hat, wenn man den Menschen ge-nau zugehört hat: In unserer Gesellschaft erodiert der Zusammenhalt. Fragen von Zuwanderung, Integration, kultureller Identi kation sindaufgeladen und hochumstritten. Es schwingen Ängste mit, abgehängt, ja ungleich behandelt zu werden. Aus all diesem erwächst Spaltung, und aus dieser erwächst Polarisierung. Beides sind ideologische Teilchenbeschleuniger. Deshalb, ist es mein Ziel, gesellschaftlicher Polarisierung entgegenzuwirken, Gruppen zusammenzuführen, Politik fürdie Menschen in unserem Land zu machen. Dabei werde ich mich zweieinfacher, aber wirksamer Antreiber bedienen: der Tatkraft und der Beharrlichkeit.

 

Beim Amtsantritt wurde man ja regelmäßig gefragt: Was tun Sie in denersten 100 Tagen? So lange wollte ich nicht zuwarten. Das spiegelt sichin der zweiten Maximen wider: Ein Weiter so möchte ich nicht. Wobeiich ausdrücklich meinem Vorgänger, Thomas de Maizière, für seine Arbeit danke. Ich habe ein sehr gutes Haus übernommen. Wir müssen aber auch neue Wege gehen, und wir müssen vor allem Tempo machen. Beherztes Handeln ist das Gebot der Stunde, nachdem wir vieleMonate damit verbracht haben, die Regierung zu bilden. Das gilt vorallem für folgende Trias: erstens Sicherheit, und das ächendeckendin ganz Deutschland, zweitens Migration, gesteuert und begrenzt und drittens sozialer Frieden, gemeinsam und integrativ.

 

Flächendeckende Sicherheit

Die Sicherheitslage in Deutschland ist unverändert sehr bedrohlich im Hinblick auf den islamistischen Terror. Wir müssen deshalb gemeinsam höchste Aufmerksamkeit walten lassen und unsere Sicherheitsmaßnahmen ständig optimieren. Der Staat beansprucht für sich das Gewaltmonopol und gibt seinerseits dafür das Sicherheitsversprechenan seine Bürgerinnen und Bürger. Niemand von uns kann absolute Sicherheit versprechen. Aber das Menschenmögliche für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger müssen wir jeden Tag tun. Dort, woGrenzen überschritten, Regeln missachtet oder Gesetze gebrochen werden, gilt für mich: null Toleranz. Ich sage gleich zu Beginn unserer Legislatur ganz deutlich: Null Toleranz gibt es für mich auch bei Hassparolen und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen. Dass eine Null-Toleranz-Strategie Wirkung zeigt und abschreckt,hat sich in der Geschichte der Republik schon vielfach gezeigt. Einesolche Strategie braucht einerseits einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung und im Parlament. Sicherheit ist nicht „rechts“ oder „links“, nicht „konservativ“ oder „progressiv“. Sicherheit ist ein Menschenrecht, und dafür setze ichmich jeden Tag ein. Eines unserer wichtigsten Ziele, ja sogar das wich-tigste Ziel im Rechtsstaat muss sein: die konsequente Durchsetzunggeltenden Rechts, und zwar in allen Bereichen und gegenüber jedermann. Denn ein starker Staat duldet keine rechtsfreien Räume. Wir sind und bleiben ein liberaler und weltoffener Staat nach dem Motto „Leben und leben lassen“. Aber wenn es um den Schutz der Bürgergeht, brauchen wir einen starken Staat, und dafür trete ich ein.

 

Wir werden auch Schluss machen mit ungleicher Sicherheit, abhängig von Längen- und Breitengraden, indem wir ein Musterpolizeigesetz für ganz Deutschland schaffen. Ein starker Staat wird ferner gelingenmit zeitgemäßen Fahndungs- und Ermittlungsinstrumenten: Das BKA, also das Bundeskriminalamt, als zentrales Datenhaus im polizeilichen Informationsverbund werde ich weiter vorantreiben. Die Befugnisse im digitalen Raum müssen denen im analogen Raum angepasst werden. Auf europäischer Ebene müssen wir alles daransetzen, die vielen Datenbanken so miteinander zu verknüpfen, dass unsere Sicherheitsbehörden künftig schneller und zielgerichteter agieren können. Allesnach der Maxime „Vorfahrt für die Sicherheit“. Ich möchte auch hier darauf hinweisen: Sicherheit beginnt an den Grenzen. Sie kennen dieaktuellen Diskussionen.

 

Aber ich sage Ihnen auch Solange die Sicherheit an den Außengrenzender EU nicht wirksam geleistet werden kann, müssen wir mit verschie-denen Maßnahmen, vor allem intelligenten Maßnahmen, die Binnengrenzen zu unseren Nachbarn kontrollieren.

 

Ich werde dafür eintreten, dass die intelligente Videotechnik weiterausgebaut wird. Jeder, der sich daran stößt, möge sich in die Opfer eines Überfalls in einem U-Bahnhof oder in einer Fußgängerzone hineinversetzen und dann erneut abwägen: Wir wollen nicht wissen,wer wann in welchem Supermarkt einkauft. Wir wollen wissen, wer dealt, wer zuschlägt, wer stiehlt oder wer einbricht und dann unmissverständliche Konsequenzen ziehen. Schließlich gelingt ein starkerStaat nur mit starken Polizei- und Sicherheitsbehörden. Diesbezüglich wurden schon in der Vergangenheit massive personelle Verstärkungen, insbesondere beim Bundeskriminalamt und bei der Bundespolizei, eingeleitet. Der Bund wird zügig 7.500 zusätzliche neue Stellen schaf- fen und unsere Sicherheitskräfte mit guter Ausstattung und modernerAusrüstung versehen. Schließlich sind unsere Sicherheitskräfte die Garanten für unser Wohlergehen. Ich sage sehr deutlich: Wir alle müssen jene besser schützen, die uns jeden Tag schützen.

 

Begrenzung und Steuerung der Migration

Der zweite Punkt ist die Migration. Sie wissen: Ich habe einen Masterplan angekündigt. Drei Bausteine liegen mir hier besonders amHerzen: 1. die Begrenzung der Zuwanderung unter Wahrung unserer Schutzverp ichtungen, 2. konsequentere Abschiebungen für jene, die kein Bleiberecht haben und 3. schließlich keinerlei sozialromantisches Verständnis bei Straftätern und Gefährdern. Ich habe vor einiger Zeit zum ersten Mal von einer zahlenmäßigen Begrenzung der humanitären Migration nach Deutschland gesprochen und erlebt, was man neu-deutsch als „Shitstorm“ bezeichnet. Nun steht ein Korridor von jährlich 180.000 bis 220.000 Zuwandern im Koalitionsvertrag. Trotzdem gibt es keinen Grund, Menschenrechte infrage zu stellen, auch nicht das Asylrecht. Deshalb haben wir eine ganze Fülle von Maßnahmen vereinbart: von der Bekämpfung der Fluchtursachen, die für michimmer noch die humanste Antwort auf die Migrationsproblematik unserer Zeit ist, bis hin zu verstärkten Abschiebungen. Ich setze sehr auf die Ankunfts-, Entscheidungs-, Verteilungs- und Rückführungsein-richtungen, die man kurz AnKER-Zentren nennt. Das ist ein komplizierter technokratischer Begriff; aber dahinter verbirgt sich, dass wir schnellere rechtsstaatliche Verfahren bekommen und erst dann eineVerteilung auf die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland vornehmen, wenn Klarheit über den Status besteht.

 

Verankerung und Verwurzelung

Ich will auch noch etwas zu dem omnipräsenten Thema Heimat sagen. Hier gibt es offenkundig einige Missverständnisse. Bei Heimat geht es nicht um Folklore, Brauchtümelei oder Nostalgie. Wer dies so versteht, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Bei Heimat geht es um die Verankerung und Verwurzelung, um ein kulturell angestammtes Umfeld in einer globalisierten Welt. Es geht schlicht und einfach umZusammenhalt, um Geborgenheit, um den Halt, den jeder Mensch inunserem Lande braucht, auch wir. Wir werden über die Heimatabteilung zum einen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken und zum anderen dafür kämpfen, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland bekommen. Das gilt für Ost wie für West.

 

Ich bin sehr glücklich, dass wir einen Koalitionsvertrag haben, den ich als „Koalitionsvertrag für kleine Leute“ bezeichne. Ich habe noch nie an einem Koalitionsvertrag mitgewirkt, der eine so breite soziale Dimension beinhaltet hat: von der Rente über die Pflege bis hin zur Gesundheit. Das gilt auch für den Wohnraum. Ich sage in aller Kürze: Für mich ist die Entwicklung unserer Mieten das soziale Problemheute und für die Zukunft. Da ist neben anderen Dingen die richtigeAntwort, dass wir genügend Wohnraum und mehr Gleichgewicht im Markt schaffen. Deshalb ist es gut, dass wir 50 Prozent mehr Wohnungen bauen werden als in der letzten Legislaturperiode, nämlich 1,5 Millionen Wohnungen. Dieses Thema wird bei uns im Ministerium kein Anhängsel sein, sondern ein Schwerpunkt.

 

Das Gebot der Stunde ist: Ärmel hochkrempeln und anpacken! Nichtnur die Situation beschreiben, sondern sich für die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten in unserem Land einsetzen, und bei aller Weltoffenheit, die uns auch prägt, Politik auch mit dem Herzen zu machen! Meine Erfahrung über viele Jahrzehnte ist: Nur dann, wenn man Politik mit dem Herzen macht, gelingt sie gut. Das alles ist ehrgeizig. Aberdas ist mein Anspruch, und dem fühle ich mich verp ichtet. Ich kann Ihnen zusichern: die Koalition wird liefern.