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Ein flottes Leben

Sie spielte an den berühmtesten Theatern der DDR, war DEFA-Filmstar, tingelte frivole Lieder singend durchs Land und hatte mit ganz normalen Sorgen einer berufstätigen Mutter zu kämpfen. 2004 zog sie sich nach ihrem arbeitsreichen Leben weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Für Disy machte Marita Böhme eine Ausnahme und wandelte mit uns durch ihren Wohlfühlort Radebeul.

Ihr Merkmal ist der dicke schwarze Lidstrich über den Augen: „So gehe ich sogar zum Bäcker, ich bin eitel und mache es für mich.“ Sie hat auch heute noch die grazile Figur einer Turnerin, die sie in jungen Jahren war. In Blasewitz und Striesen, wo Marita Böhme seit Jahrzehnten wohnt, haben sich die Leute daran gewöhnt, ihr gelegentlich beim Einkaufen zu begegnen. „Ich wäre lieber anonym und bin ziemlich scheu geworden“, sagt sie. Seit sie vor einigen Jahren ihren Abschied aus der Fernsehserie „Polizeiruf 110“ bekannt gab, in der sie Kommissar Schmückes Freundin Edith Reger spielte, zog sie sich ins Private zurück. Sie nahm keine Angebote mehr an, trat nur noch einmal in Rolf Hoppes Hoftheater auf, und auch Interviews gibt sie nur ausnahmsweise. „Ich habe mein Leben lang ununterbrochen gearbeitet, es war einfach genug.“ Für Disy machte Marita Böhme eine Ausnahme und zeigte uns ihren Wohlfühlort Radebeul.

Gewohnt hat sie dort nie, doch die Gegend findet sie inspirierend und entspannend. Viele ihrer Freunde und Kollegen leben dort. „Wenn ich mit dem Zug nach Dresden einfahre und die Radebeuler Weinhänge sehe, stellt sich bei mir jedes Mal ein Heimatgefühl ein“, erzählt sie. Auf der Fahrt nach Radebeul gibt die Sonne bereits um halb elf ihr Bestes, das Thermometer zeigt gute 30 Grad, die Luft ist schwül, ein Gewitter liegt in der Luft. Kein Wetter, bei dem man Lust auf lange Spaziergänge hat. Wir entscheiden uns, in der Radebeuler Hoflößnitz Luft zu holen, steigen die Stufen zwischen den Weinbergen hinauf und nehmen an einem Gartentisch zwischen Kavaliershaus und Berg- und Lusthaus Platz. Der Blick schweift über steinerne Treppen, Fenstergauben und Dächer, die an Ostseehäuser erinnern. Hölzerne Fensterläden klappern im Wind. Im Hintergrund liegen Weinberge und das Spitzhaus. Marita Böhme holt einen mitnehmbaren Aschenbecher aus der Tasche. „Aber fotografieren Sie mich nicht rauchend“, bittet sie. Und erzählt trotzdem die Geschichte der ehemaligen vergoldeten Pillendose, die sie in den 60er-Jahren für ihren Film „Leben zu zweit“ von einem berühmten Fan geschenkt bekam und zum Aschenbecher umfunktionierte. Damals war sie schon eine bekannte Schauspielerin, doch auf dem Weg dahin gab es einige Hürden zu nehmen.

Weil Marita Böhme Kinder liebt, absolvierte sie zunächst eine Ausbildung als Kindergärtnerin. „Der Beruf hat auch mit Schauspielerei zu tun. Ich habe für mein Leben gern Kaspertheater gespielt. Da standen manchmal die Leute am Zaun und haben sich scheckig gelacht“, erinnert sie sich. Nach der Ausbildung arbeitete sie in einem Kindergarten in Königs Wusterhausen. Die Nähe zur Schauspielschule war bewusst gewählt: Ein Jahr lang bereitete sie sich nebenbei auf die Aufnahmeprüfung vor. Ihre Eltern waren lange ahnungslos. Erst als sie im 1. Studienjahr mit Rolf Ludwig an der Berliner Volksbühne spielte, lud sie sie zur Premiere ein. „Die fielen fast vom Stuhl, als sie mich als Adriana auf der Bühne erkannten“, lacht Marita Böhme, „waren dann aber stolz.“ Mit einem älteren Bruder und zwei jüngeren Schwestern in Klotzsche aufgewachsen, verbinden sie trotz durch Krieg und Hunger geprägte Jahre glückliche Gedanken an ihre Kindheit. „Mein Vater war Malermeister, meine Mutter Hausfrau. Sie konnte sehr gut singen und wäre bestimmt eine gute Sängerin geworden, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte.“ Obwohl Marita Böhme 18 Jahre in Berlin lebte und die Jahre als ihre beste Zeit bezeichnet, zog es sie 1965 wieder nach Dresden, weil sie die Rolle der Eliza Doolittle in My Fair Lady haben wollte. Eliza Doolittle brachte ihr den Durchbruch und blieb bis heute ihre schönste Rolle. Über 400-mal wurde das Stück an der Staatsoperette gespielt. „Dass ich so gut berlinern kann, hat mir wohl geholfen“, scherzt sie. „Ick kann det heut noch jut“, fügt sie an. Überhaupt lacht sie viel und gern: „Ich habe mich selbst nie so ernst genommen, deshalb hatte ich immer Glück.“

Wir entschließen uns nun doch zu einem kleinen Spaziergang rund um Hoflößnitz. Steigen die Treppe hinab zum Knohllweg, biegen links ab und schlendern am Weinberg vorbei. Weiter geht es ein Stück die Hoflößnitzstraße bergan. Gegenüber der Nr. 60 könnten wir in Richtung Spitzhaus laufen, doch wir entscheiden uns für den Rückweg ins Weingut. Aus praktischem Grund: Hunger. „Ich kann nie vor elf frühstücken, das war schon immer so“, erklärt Marita Böhme. An der Gastwirtschaft Hoflößnitz kommen wir mit Geschäftsführer Matthias Gräfe ins Gespräch. Wir lassen uns unter den Riesenkastanien und Sonnensegeln nieder und bekommen warmen Zwiebelkuchen serviert. Auf dazu passenden Wein verzichtet Marita Böhme aus Disziplin. „Ich habe gerade meine trinkfreien Wochen, das halte ich seit Jahren regelmäßig und konsequent so.“

Diszipliniert war sie ihr Leben lang. Das war auch einer der Gründe, warum sie immer wieder zum Film geholt wurde, glaubt sie. In wie vielen Filmen sie spielte, weiß sie nicht genau. Auch ihre Rollen hat sie nicht gezählt. Das eindrucksvollste Erlebnis ihrer Karriere? „Die Premiere meines ersten Films ‚Auf der Sonnenseite‘ in Parchim. Auch an die Zeit, in der sie mit frivolen Liederprogrammen durchs Land tourte, erinnert sie sich gern. „Damit und mit Filmen hab ich mein Geld verdient, am Theater war die Gage nie hoch.“ Das war kein Privileg, denn sie musste für ihre als Frühchen zur Welt gekommene Tochter, die später nicht in Krippe und Kindergarten gehen durfte, eine private Säuglingsschwester anstellen, um ihren Beruf weiter ausüben zu können. Marita Böhme durfte auch in der Bundesrepublik gastieren, aber an Ausreise dachte sie keinen Augenblick: „Ich lasse doch nicht meine Kinder im Stich.“ Freischaffend war sie nie. „Zum Glück“, sagt sie. „Heute gibt es viel Missgunst am Theater oder beim Film.“ Auch Lampenfieber kennt sie gut. „Ich hatte eigentlich den falschen Beruf und immer Angst. Das wurde immer schlimmer.“ Doch das war nicht der Grund für ihren Ausstieg aus der Serie „Polizeiruf 110“. „Die Rolle der Edith Reger wurde immer kleiner. Wenn sich ein Schauspieler schlecht fühlt, kann er eine Rolle nicht mehr ausfüllen.“ Eine gute Filmrolle würde sie noch reizen: „Das müsste ein Film mit Überraschungen sein und in dem man nicht im Voraus weiß, was der andere gleich sagen wird.“

Im Hintergrund klappern Töpfe aus dem Kavaliershaus, Vögel zwitschern, und ein Zugbimmeln ist aus dem Lößnitzgrund zu hören. Geräusche, die uns in den Alltag zurückholen. Wie lebt eine Schauspielerin außer Dienst? Ganz unspektakulär, sagt sie. Sie ist früh meist ab sechs auf den Beinen und liest. Um neun geht der Fernseher an und läuft immer. „Ich bin fernsehkrank“, gesteht sie. Schreibt dabei Briefe, kocht, organisiert, richtet sich in ihrer neuen Wohnung ein. Seit 20 Jahren geht sie einmal wöchentlich zum Yoga. Männer gibt es für die Claudia Cardinale des Ostens, wie sie einst genannt wurde, in ihrem Leben seit vielen Jahren nur als Freunde. Sie war zweimal verheiratet, ist zweimal geschieden und hat zwei Kinder. „Doch der größte Skandal der DDR war wohl, dass ich mit 40 Jahren eine Beziehung zu einem 21 Jahre jüngeren Mann einging“, schmunzelt sie. Jahrelang hielt diese Verbindung entgegen allen Unkenrufen.  „Mit 40 begannen meine besten Jahre. Da ist man gelassener und muss sich nichts mehr beweisen“, sagt sie. „Ich hatte ein ganz flottes Leben“, ergänzt sie, und ihre Stimme bekommt für einen kurzen Moment einen melancholischen Hauch. „Aber wenn ich Filme von mir sehe, denk ich immer, der ist tot und der ist schon tot … Wenn ich mal sterbe, möchte ich den Walzer aus dem Rosenkavalier von Strauss hören.“ Doch dieser Wunsch beschreibt eher ihre Vorliebe für klassische Musik (neben Strauss auch Antonin Dvorak oder Franz Schubert). Hat sie vor, ein Buch zu schreiben? „Auf keinen Fall“, protestiert sie entschieden. Schade eigentlich, denn Marita Böhme ist eine wunderbare Erzählerin. Dagmar Möbius