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Wieso in stimmintensiven Berufen Prävention wichtig ist

War Anfang des 20. Jahrhundert für nur ein Fünftel aller Berufe Kommunikation ein ausschlaggebender Faktor, sind es inzwischen zwei Drittel. Lehrer, Versicherungsvertreter, Erzieher und viele weitere sind auf eine funktionierende Stimme angewiesen. Treten Kommunikationsstörungen auf, wird ihnen in der Phoniatrie und Audiologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus geholfen. Besser ist es jedoch, wenn präventiv gearbeitet wird, sagt Prof. Dr. med. Dirk Mürbe. 

 

Rund zehn Prozent der Bevölkerung leiden an einer Kommunikationsbehinderung. Dazu zählen Erkrankungen, der Stimme, des Sprechens und der Sprache. Besonders häufig sind Stimmstörungen. Davon betroffen sind nicht nur stimmintensive Berufe wie Sänger oder Schauspieler. „Für viele ist eine funktionierende Stimme ein Garant dafür, dass der Beruf überhaupt ausgeübt werden kann“, erklärt Prof. Dr. med. Dirk Mürbe. 

 

Dazu zählen Verkäufer genauso wie Kindergärtner oder Versicherungsvertreter. Versagt ihre Stimme, ist es nicht immer eine nach wenigen Tagen auskurierte akute Kehlkopfentzündung, sondern oft eine unzureichende stimmliche Leistungsfähigkeit. Doch mit Stimmtraining kann diesem Fall vorgebeugt werden.
In der Abteilung Phoniatrie und Audiologie an der HNO-Klinik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus arbeitet ein 25-köpfiges Team aus Logopäden, Ärzten und Therapeuten an der Diagnostik und Therapie von Hör-, Sprach- und Stimmstörungen. Das Fachgebiet der Phoniatrie (Stimm- und Sprachheilkunde) ist rund 110 Jahre alt. An der Charité in Berlin und später in Wien gab es die ersten Stimmen- und Sprachheilkundler. Ging man in Österreich einen eher psychologischen Weg, beherrschte in Berlin die Mechanik des Kehlkopfes und der Stimmbänder das Interesse. Seit 1993 können Ärzte in Deutschland ihren Facharzt in Phoniatrie machen. „Bisher ist die Verteilung an niedergelassenen Kollegen sehr unterschiedlich. In Großstädten wie Hamburg und München gibt es mehr als hier“, erklärt Prof. Mürbe. Mit der steigenden Zahl an kommunikativen Berufen wächst auch das Fachgebiet der Phoniatrie. 

 

Tritt eine Stimmstörung auf, werden die Stimmlippen des Patienten untersucht. Sie schwingen bei einem männlichen Sprecher etwa 100 Mal pro Sekunde und erzeugen so einen Ton. Diese Frequenz ist für das menschliche Auge nicht zu erfassen. In der Dresdner Phoniatrie kommen deshalb Hochgeschwindigkeitskameras zum Einsatz. Sie nehmen sehr viel mehr Bilder pro Sekunde als eine herkömmliche Kamera auf und machen so die Bewegungen der Stimmlippen sichtbar. In die Diagnose bezieht Prof. Mürbe zudem den Höreindruck mit ein. Er achtet darauf, ob die Stimme knarrt, rau ist oder andere ungewöhnliche Merkmale aufweist. „Zudem schau- en wir, wie belastungsfähig die Stimme ist. Das können wir durch verschiedene längere Sprechaufgaben feststellen.“ Eine Kindergärtnerin muss in der Lage sein, etliche Stunden am Tag ihre Stimme über einen Störlärmpegel von 80 dB zu heben – Schwerstarbeit für das fragile Organ. Im ungünstigsten Fall sind die Störungen organischer Natur. Dann sind die Stimmlippen geschwollen, vernarbt oder haben Polypen oder Zysten.

 

Damit es gar nicht erst zu einer Stimmstörung kommt, rät Prof. Mürbe zur Prävention. „Gerade in stimmintensiven Berufen ist eine Ausbildung notwendig, um den Anforderungen gerecht zu werden“, weiß der Experte. Dabei geht es nicht darum, die Stimmlippen dicker und den Muskel stärker zu machen. „Besser ist, durch Veränderung des Artikulationssystems der Stimme mehr Tragkraft zu verleihen. Dadurch, dass die Stimme in anderen Bereichen moduliert wird, lässt sich die Resonanz verstärken – das ist das Grundprinzip jeder künstlerischen Stimmbildung. Der Sprecher erlangt sozusagen mit weniger Benzin mehr Leistung.“ 

 

Wie die modulare Veränderung der Stimme am besten geht, wird ebenfalls in der Phoniatrie in aktuellen Forschungsprojekten untersucht. Mit MRT-Aufnahmen des Vokaltrakts und Kehlkopfes erhalten Mürbe und sein Team morphometrische Daten, die Vorhersagewerte für eine Stimme bilden. So lässt sich zum Beispiel die Stimmgattung – Tenor, Bass, Sopran – bestimmen. Mit den Daten erhalten Logopäden wertvolle wissenschaftlichen Grundlagen für ihre Anwendungen. Sie sehen dank des 3D-Modells die Tricks der professionellen Stimmnutzer und können diese an die Patienten weitergeben. 

 

Die Phoniatrie arbeitet parallel auch mit verschiedenen Institutionen zusammen, an denen Stimmprofis arbeiten. „In Nebenfunktion leite ich an der Dresdner Hochschule für Musik das Studio für Stimmforschung“, erzählt der Phoniater. Er selbst studierte Gesang und ist Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie sowie für HNO-Kunde. Seit fünf Jahren ist er Professor am Universitätsklinikum. Die Phoniatrie erhält Patienten aus verschiedenen anderen Fachbereichen. Neurologie, Kinderheilkunde und der HNO-Bereich bilden in der Phoniatrie und Audiologie Synergien. „Dazu kommt der technische Aspekt der Akustik, wie die Spracherkennung – all das ist Teil des Gebietes.“

 

Die Stimme ist zudem ein wichtiges Persönlichkeitsmerkmal. „Leider wird hierzulande weniger auf ihre Bedeutung geachtet, wie zum Beispiel in den USA. Ich glaube jedoch, dass das Bewusstsein für die Bedeutung der rhetorischen Fähigkeiten in Zukunft noch steigen wird.“ Die Zahl der Berufe, in denen man auf eine gesunde Stimme angewiesen ist, werden in jedem Fall nicht weniger – und somit auch nicht die Arbeit der Phoniatrie.