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Auch Dresdner Kinder leiden

Umfrage unter Dresdner Schülern: 30 Prozent leiden häufig unter schmerzendem Kopf

 

In einem klinikübergreifenden Projekt entwickeln und erproben Spezialisten des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden neue Behandlungsstrategien gegen Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Nach der erfolgten Etablierung einer Spezialambulanz am Universitäts SchmerzCentrum (USC) und einem gestarteten interdisziplinären Therapieprogramm, ziehen die Initiatoren eine erste positive Bilanz. Ausgangspunkt der Aktivitäten war eine Befragung von Kindern und Jugendlichen aus 14 Dresdner Schulen. Das Ergebnis zeigt einen hohen Bedarf an Behandlungsangeboten, die bisher weder in Sachsen noch bundesweit adäquat vorgehalten werden. Die Ergebnisse des ergänzend hierzu konzipierten, mit Spendengeldern der Aktion „Dresdner helfen Dresdnern“ und des „Dresdner Kinderhilfe e.V.“ etablierten ambulanten Therapieprogramms für Kopfschmerzkinder „DreKiP“ sind vielversprechend: Das von Experten des USC sowie der Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie betreute Programm hilft den Patienten, Situationen zu erkennen und zu verändern, die den Kopfschmerz befördern. Darüber hinaus lernen und trainieren sie Schutzmechanismen gegen diese Form des Schmerzes. Anhaltende und wiederkehrende Kopfschmerzen quälen nicht nur Erwachsene, sondern sind bereits im Grundschulalter ein Problem. Das belegt eine Umfrage an 14 Dresdner Schulen. Dazu haben die Ärzte und Wissenschaftler über 5.000 Fragebögen an Kinder und Jugendliche aus sieben Grundschulen, drei Gymnasien und vier Oberschulen verteilt. Knapp die Hälfte kam ausgefüllt zurück. Die ausgewerteten Daten überraschten die erfahrenen Schmerztherapeuten: Nur ein knappes Drittel der Schüler gab an, nie an Kopfschmerzen zu leiden. 36,6 Prozent der befragten Schüler dagegen hat einmal im Monat Kopfweh, weitere 31,5 Prozent dagegen häufi ger – mindestens zweimal im Monat. Die Zahlen belegen zudem eine bedenkliche Tendenz: Je älter die Schüler sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie unter Kopfschmerzen leiden. Bereits 16,6 Prozent der Erstklässler klagen über häufi ges Kopfweh. Bei den 12.-Klässlern steigt diese Rate auf gut die Hälfte (55,3 Prozent) aller Schüler dieser Klassenstufe. Eine Besonderheit an diesen Daten ist, dass Jugendliche, die an Oberschulen lernen, öfter von häufi ger auftretenden Kopfschmerzen heimgesucht werden, als Gymnasiasten. Die Wissenschaftler wissen, dass sich aus den Ergebnissen dieser Befragung noch kein verlässliches Bild über die Situation in ganz Deutschland zeichnen lässt. Doch die Tendenz stimmt offenbar, wie eine repräsentative Umfrage unter Siebtklässlern aus ganz Deutschland belegte. Die „Aktion Mütze“ hatte im Rahmen einer bundesweiten Aktion Siebtklässler Fragebögen zum Thema Kopfschmerz ausfüllen lassen und kam dabei auf ähnliche Werte. Hier lag der Anteil der Schüler, die mindestens einmal im Monat Kopfschmerzen haben, bei 73,9 Prozent. Träger der „Aktion Mütze“ ist das Zentrum für Forschung und Diagnostik bei Implantaten, Entzündungen und Schmerzen (ZIES). Eine Schirmherrin der Aktion ist die sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz, Barbara Klepsch. „Die am Universitätsklinikum aufgebauten Versorgungsangebote für Kinder und Jugendliche, die häufi g an Kopfschmerzen leiden und die damit verbundene wissenschaftliche Arbeit sorgen dafür, dass ein bisher kaum beachtetes Gesundheitsproblem eine größere Aufmerksamkeit erfährt. Die Rolle der Dresdner Hochschulmedizin ist es, auf diesem Gebiet auch künftig den weiteren Ausbau moderner und wissenschaftlich orientierter Therapiemöglichkeiten voranzutreiben. Dazu bedarf es einer intensiven Interaktion mit allen Beteiligten – Angefangen von den jungen Patienten und deren Familien bis hin zu behandelnden Ärzten, Lehrern, Therapeuten und Kostenträgern. Das am Universitätsklinikum veranstaltete Kinderkopfschmerzsymposium ist hierzu ein wichtiger Schritt, um die neuen therapeutischen Ansätze praxisnah weiterzuentwickeln“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus. 

 

 

Wissen und Selbstkontrolle gegen den Kopfschmerz 

Die häufigsten Formen des Kopfschmerzes sind auch bei Kindern Migräne und Spannungskopfschmerz. Letzterer wird von den Medizinern als Warnsignal des Körpers verstanden. Die Auslöser sind vielfältig: Lange Phasen der Konzentration, Flüssigkeitsmangel, zu wenig Schlaf oder seelischen Stress können den Schmerz auslösen oder verstärken. Auch bei Migräne lösen bei vielen Patienten äußere Umstände eine Attacke aus oder beeinflussen deren Schwere. Darum ist es so wichtig, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie ihre Eltern so viel wie möglich über Kopfschmerzen wissen. Dies ist der Ausgangspunkt für sogenannte biopsychoedukative Therapiekonzepte wie dem neu konzipierten „Dresdner Kinderkopfschmerzprogramm“ (DreKiP). Hier lernen sie, wie sie das akute Auftreten erkennen und was sie dagegen unternehmen können. Das Programm richtet sich an solche Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer Kopfschmerzen häufiger der Schule fernbleiben oder deren körperliche und geistige Leistungen unter den Attacken leiden. Auch muss eine entsprechende Diagnose durch einen Arzt gestellt worden sein. Das bisher spendenfinanzierte DreKiP besteht aus acht Modulen, welche die Patienten und teilweise deren Eltern absolvieren. Das über zwei bis drei Monate laufende Programm mit jeweils sechs Patienten besteht aus 90 bis 180 minütigen Sitzungen. Im Mittelpunkt der einzelnen Termine stehen Psycho-, Ergo-, Physio- und Kunsttherapien. Ein besonderes Element ist ein dreistündiges Training in der Kletterhalle des Sächsischen Bergsteigerbundes. Hier machen die Patienten ganz intensive Erfahrungen an der Kletterwand. – Sich angeseilt aber mit verbundenen Augen nach oben zu bewegen, ist eine ganz besondere Erfahrung. Ziel ist es, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in den eigenen Körper ebenso zu stärken wie die Fähigkeit, sich selbst besser wahrzunehmen. Ziel von DreKiP ist es, über diese Therapieeinheiten kopfschmerzbedingte Einschränkungen im Alltag vermindern. Die ersten Ergebnisse des Programms, das mittlerweile 18 Patienten in drei Durchgängen absolviert haben, stimmen die Dresdner Kopfschmerzexperten optimistisch. Den betroffenen Kindern und Jugendlichen gelingt es nach dem Abschluss des Programms besser, ihre Kopfschmerzen differenzierter wahrzunehmen und einzuordnen, die körperliche Aktivierung zu verbessern, eigenständig Entspannungsverfahren anzuwenden und im häuslichen und schulischen Umfeld besser mit Stresssituationen umzugehen. Diese einzelnen Aktivitäten sind wichtige Elemente, mit denen es den Kindern und Jugendlichen gelingen kann, ihrem Kopfschmerz selbstwirksam zu begegnen. Um die Wirksamkeit des DreKiP-Programms genauer untersuchen zu können, muss eine größere Zahl an Patienten das Programm durchlaufen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich weitere Sponsoren oder Institutionen wie Kostenträger finden, die Gelder für die bisher kostenlos angebotenen Programme bereitstellen. Die ersten DreKiPTherapiezyklen wurden durch die Spendenaktion „Dresdner helfen Dresdnern“ ermöglicht. Beachtung fand das Programm auch auf dem Deutschen Schmerzkongress. Dort erhielt die Präsentation des Konzepts einen Posterpreis. 

 

Frühes Eingreifen verhindert spätere Chronifizierung 

Das Wissen über das häufige Auftreten unterschiedlicher Formen des Kopfschmerzes bei Kindern und Jugendlichen ist ein wichtiger Ansatzpunkt dafür, verstärkt Versorgungsangebote für die Betroffenen zu schaffen. Der Aufbau der interdisziplinären Kinderkopfschmerzambulanz am Universitäts SchmerzCentrum und das DreKiP-Konzept sind erste Aktivitäten, um der aktuellen Unterversorgung der Schmerzpatienten im Schulalter zu begegnen. Nach Ansicht der Dresdner Schmerzexperten eine gute Investition in die Zukunft. Denn ein unbehandelter Kopfschmerz, der bereits im Kindes- und Jugendlichenalter zu Fehltagen in der Schule führt, droht im weiteren Verlauf sich zu einer chronischen Erkrankung zu entwickeln, an deren Ende auch eine Erwerbsunfähigkeit und Frühverrentung steht. 


Lebensstil-Wandel von Kindern und Jugendlichen begünstigt Kopfschmerz 

Der Trend zu elektronischen Spielen und medialer Unterhaltung aber auch eine weiter komprimierte Wissensvermittlung in der Schule sind bei Kindern und Jugendlichen ebenso Risikofaktoren für das Auftreten häufiger Kopfschmerzattacken wie körperliche Inaktivität oder seelischer Stress. Mit den unterschiedlichen Formen der in das  DreKiP-Programm integrierten Therapien gelingt es, dieser Entwicklung gegenzusteuern. Der Schlüssel dazu sind Aktivitäten, in denen die Betroffenen in einer Gruppe aktiv werden, wieder einen Zugang zu körperlicher Bewegung bekommen, kreativ werden und ihren eigenen Körper wahrnehmen. Diese Erkenntnis sollte nicht nur die von häufigen Kopfschmerzen heimgesuchten Kindern und Jugendlichen anregen, ihren Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen, sondern auch ihren Altersgenossen, die bisher von diesen Problemen verschont wurden. Denn die Wahrscheinlichkeit, künftig selbst häufiger unter Kopfschmerzen zu leiden, steigt bereits in der Schulzeit.