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Der Rettende

Fast jeden Tag hat Andrew Seidl, Fachanwalt für Insol­venzrecht, einen neuen Fall auf dem Tisch. Jedes Mal steht er dann vor der Frage: Klappt die Sanierung des Unternehmens oder nicht? Er zählt zu den führenden Köpfen seines Fachbereiches und ist ein gefragter Experte. Dabei kam er "wie die Jungfrau zum Kind" zum Insolvenzrecht. Nach dem Studium hatte er das Glück, dass gerade die Mauer gefallen war und es in den neuen Bundesländern an allen Ecken und Enden fehlte. "Die sogenannten Gesamtvollstreckungsgerichte hatten einen Artikel über die Sanierung von Unternehmen gesehen, den ich mal geschrieben hatte. Man fragte bei mir an und ich merkte, dass ich das Thema sehr spannend finde", erzählt Seidl. Dabei hatte er sich das Leben als Anwalt ursprünglich anders vorgestellt. "In der Schule war ich großer Fan von amerikanischen Anwaltsfilmen. Das gefiel mir und ich wusste, da will ich auch hin. Also studierte ich Jura und merk­te, dass es nicht so war, wie es in den Filmen dargestellt wurde. Aber es machte mir viel Spaß, Menschen in verzwickten Lagen wieder auf die Beine zu stellen, also blieb ich dabei", so der Anwalt. Seine tägliche Arbeit unterscheidet sich merklich von denen seiner Kollegen. Selten ist er vor Gericht und muss verteidigen. Auch gibt es beim Insolvenz­recht keine Gewinner oder Verlierer im eigentlichen Sinne. "Wenn ich von zehn Verfahren sechs erfolgreich abschließe, dann ist das eine tolle Quote", so Seidl. Doch wer glaubt, dass es beim Insolvenzrecht nur um die Rettung von Firmen geht und es keine menschlichen Schicksale gibt, der irrt. Einmal rief ihn die Frau eines Geschäftsführers an. Ihr Mann hatte sich aus Angst vor einer Insolvenz versucht, das Leben zu nehmen. "Er konnte gerettet werden. Später schauten wir seine Bücher an und stellten fest, dass seine Angst vollkommen unbegründet war", erzählt Seidl. Doch es muss nicht immer so tragisch sein. Ein Verhand­lungsmarathon bei einem Frankfurter Notar zum Beispiel ging kuri­os zu Ende. Alle Verträge mussten bis 24 Uhr unterzeichnet sein und man saß bereits seit 8 Uhr. "Als gegen halb 12 in der Nacht Einigung erreicht wurde, stand der Notar auf und wollte das Zimmer verlas­sen. Allerdings verwechselte er die Tür und lief direkt in einen Wand­schrank", erzählt Seidl. Anschließend herrschte nicht nur aufgrund der geretteten Firma gute Stimmung.