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Alles regelt der Markt

Die Daimler AG hat 2014 entschieden, das eigene Retail Netz durch den Verkauf von Niederlassungen deutlich zu straffen und sich auf die Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen zu konzentrieren. Einer der Käufer war die LSH Group mit Sitz in Hongkong, die die Niederlassungen in Ostdeutschland zur Stern Auto GmbH zusammengeführt hat. Matthias Matthies ist Centerleiter bei Stern Auto und verantwortlich für die vier ehemaligen Daimler eigenen Standorte der Marken Mercedes Benz und smart in Dresden und Kesselsdorf. Mit Disy sprach er über die große Umstrukturierung, den Wettbewerb, deutsche Wertarbeit und die Zukunft.

 

Was war der Hintergrund für die massive Umstrukturierung?

Matthies: Die Daimler AG hat sich vor 3 Jahren entschieden, das konzerneigene Retail-Netz zu reduzieren und Mercedes-Benz Niederlassungen aktiv zu verkaufen. Die LSH-Group, mit Sitz in Hongkong und als größter Mercedes-Benz Vertragspartner weltweit, kaufte die Niederlassungen in Ostdeutschland (außer Berlin) im Gesamtpaket und gründete die Stern Auto GmbH. Trotz des chinesischen Eigentümers sind wir ein deutsches Unternehmen mit deutschen Mitarbeitern, deutschem Management und Firmensitz in Deutschland.

 

Welche Unternehmen gehören zur Stern Auto Gruppe?

Matthies: Die ehemaligen Niederlassungen in Dresden, Leipzig, Magdeburg, Erfurt, Schwerin sowie Rostock bilden mit insgesamt 15 Standorten und 1.400 Mitarbeitern jetzt die Stern Auto GmbH. Allein in Dresden sind das vier Standorte, für die ich verantwortlich bin. Dazu gehören die Mercedes-Benz Betriebe auf der Fritz-Meinhardt-Straße und Zwickauer Straße in Dresden, das Nutzfahrzeug-Center in Kesselsdorf sowie das smart Center Dresden auf dem Langen Weg. Der Hauptsitz der Stern Auto Gruppe ist in Leipzig.

 

Wir leben in turbulenten Wirtschaftszeiten. Kann man im Autohandel noch genug Geld verdienen? 

Matthies: Heute ist das Absatzvolumen entscheidend. Die Margen, die der Handel in den 70er und 80er Jahren mit dem Verkauf von Neufahrzeugen erreicht hat, gibt es heute nicht einmal mehr ansatzweise. Das heißt, dass man heute eine gewisse Größe braucht, nur um allein die Fixkosten zu decken. Die Anforderungen und Standards, die die Hersteller haben, die können in ihrer Komplexität von einem Autohaus mit 20 oder 30 Mitarbeitern nur schwer bzw. nicht mehr erfüllt werden. Eine Mercedes-Benz Vertretung muss heute einen Bus, einen AMG oder auch ein Elektrofahrzeug reparieren können. Dafür muss ich meine Leute zu Schulungen schicken, das nötige Equipment anschaffen. Das lohnt sich nicht, wenn es im Einzugsbereich einen Bus und drei Elektroautos gibt. Es müssen 100 Busse und 500 Elektroautos sein, damit sich das Investment rechnet. 

 

Wo liegen die Ursachen für diese Entwicklung?

Matthies: Autos werden immer komplexer. In einer normalen A-Klasse gibt es mittlerweile ein Vielfaches an Rechenleistung im Vergleich zur Apollo Kapsel, die Menschen zum Mond gebracht hat. Wenn ein Hersteller wie Daimler heute sicherstellen möchte, dass jedes Fahrzeug adäquat betreut werden kann, dann bedarf es Standards hinsichtlich Schulungen, Ausrüstung und Prozesssicherheit, die die Vertragshändler erfüllen müssen. Im Falle von Mercedes-Benz geht die Bandbreite vom großen Lkw über Pkw, AMG-Supersportwagen bis hin zum Elektrofahrzeug.

 

War Ihr erstes Auto eigentlich ein Mercedes?

Matthies: Mein erstes Auto war der VW Karmann Ghia meines Großvaters. Den hätte ich gerne behalten. Ich habe ihn damals in Ermangelung von Kapital an einen guten Freund verkauft und der hat ihn irgendwann verschrottet.

 

Passt der Begriff „Auto fahren“ noch, wenn man einen Karmann Ghia mit einer modernen S-Klasse und all ihren Assistenzsystemen vergleicht. Braucht man dafür nicht unterschiedliche Worte? 

Matthies: Ich bezeichne das noch als Auto fahren. Ich bin jemand, der durchaus Assistenzsysteme auch mal ausschaltet, weil ich ein Fan davon bin, selber zu fahren. Auto fahren kommt von selbst fahren – autonom. Der Fortschritt ist natürlich unglaublich. Fortschritt ist aber meiner Überzeugung nach nicht das, was wir glauben. 

 

Was sind für Sie die bedeutendsten Fortschritte?

Matthies: Ein Hauptfortschritt ist für mich das Thema Licht. Wenn man den Karmann Ghia mit seiner 6 Volt Anlage und eine A-Klasse bei Dunkelheit fährt, ist das im wahrsten Sinne des Wortes ein Unterschied wie Tag und Nacht. Eine zweite große Errungenschaft ist die passive Sicherheit. Heute kann man, zumindest in einem Mercedes-Benz, einen relativ schweren Unfall mit größerer Wahrscheinlichkeit unbeschadet überstehen.

 

Die Ausstattung wird immer komplexer. Warum ist das wichtig?

Matthies: Erstens befinden wir uns nicht im luftleeren Raum, sondern im Wettbewerb. Immer dann, wenn ein Wettbewerber vorprescht, muss der andere nachziehen. Hätten Sie mir in den 70er Jahren gesagt, dass irgendwann Klimaanlagen serienmäßig sind, hätte ich das nicht geglaubt. Das regelt der Markt. Bestimmte Komponenten, die nicht mehr Sonderausstattung sind sondern zur Serienausstattung werden, fallen damit dramatisch im Preis. Wenn von zwei Millionen produzierten Autos nur 50.000 einen Multibeam-Scheinwerfer mit LEDs haben, ist der extrem teuer. Ist er bei 500.000 Autos serienmäßig, sind die Kosten natürlich, auch weil der Zulieferer anders kalkuliert, deutlich geringer.

 

Ein Mercedes ist schon immer ein Symbol für deutsche Wertarbeit. Gilt das auch noch in Zeiten, in denen immer mehr Elektronik in den Fahrzeugen verbaut wird?

Matthies: Deutsche Wertarbeit ist es immer noch. Wir sind immer noch in Deutschland führend, was Technologie und Qualität der Autos anbelangt. Wohlwissend, dass in anderen Ländern ebenfalls gute Autos gebaut werden, wie beispielsweise in Asien mit Toyota, Hyundai und Kia. Das Prädikat Premium in Deutschland ist nicht nur Qualität, die sichtbar ist, sondern auch die, die nicht sichtbar ist. Wenn man die Crashsicherheit oder Motorentechnologie betrachtet, dann können wir das in Deutschland richtig gut. Die Komplexität der Autos ist enorm, aber wir beherrschen diese Komplexität. 

 

Die Qualitätsanforderungen sind heute enorm...

Matthies: Höhere Qualitätsanforderungen als die jetzigen hat es in den Produktionsprozessen, was Karosserie, Spaltmaße und Technik anbelangt, nie gegeben. Früher gab es deutlich mehr mechanische Fehler, zum Beispiel fehlerhaft eingebaute Sitze, da es kein Qualitätsmanagement gab. Das, was die Autos heute komplex macht, sind Abgasnachbehandlung, Motorsteuerung, Klimaanlage - alle diese elektronischen Features. Wenn man aber die Fehlerquoten pro produziertes Auto misst, dann ist diese bei allen Herstellern im Vergleich zur Vorgängerbaureihe immer geringer.

 

In Sachen alternative Antriebe gibt es verschiedenste Ansätze: Brennstoffzellen, Wasserstoffverbrennung, Batteriespeicher etc. Wo geht die Reise hin?

Matthies: Wenn ich das wüsste, würde ich mich sofort selbstständig machen. Wasserstoff ist, im Sinne der Verkehrssicherheit, eine sehr komplizierte Technologie. Darum glaube ich, dass sich die Hersteller aus diesem Bereich zurückziehen. Aktuell versuchen alle Hersteller einen Weg hin zu alternativen Antrieben zu finden. Die Forschung an alternativen Antrieben wird durch den Verkauf von Verbrennungsmotoren finanziert. Die politische Diskussion ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir an einem lokal emissionsfreiem Auto nicht vorbei kommen.

 

Was sind die Vor- und Nachteile von Elektro- und Hybridfahrzeugen?

Matthies: Ein elektrisches Auto ist in der Gesamtbetrachtung für mich nicht automatisch und absolut umweltfreundlich. Für ein Hybrid-Auto benötigt man on top eine Batteriefabrik. Diese wird z.B. von Lkws beliefert. Es werden seltene Erden verarbeitet, die importiert werden müssen. Die Batterien sind auszuliefern und später zu recyceln. Auch die Fahrzeuge an sich werden durch die Batterien schwerer. Lokal ist es toll, keinen Autolärm und keine Abgase mehr zu erzeugen. Man bedenke nur die Smog- und Feinstaubbelastung in manchen Städten, die eine Lösung fordern.

 

Sie sind sehr nah am Endverbraucher. Merken Sie bei Ihren Kunden eine Verunsicherung in Sachen Antriebskonzepte?

Matthies: Solche Kunden gibt es natürlich. Für Nutzfahrzeuge gibt es aus meiner Sicht aktuell keinen wirtschaftlicheren Antrieb als den Dieselmotor, auch was die gesamte Umweltbilanz angeht. Das gilt ebenfalls für Großkunden mit Dienstwagenflotten. Die aktuelle Diskussion um den Dieselmotor verunsichert vor allem Privatkunden. Diese Aufgeregtheit ist aber ein typisch deutsches Phänomen. Wer denkt beispielsweise heute noch an BSE oder Vogelgrippe. Jetzt wird erneut, er wurde ja schon oft totgesagt, über den Dieselmotor diskutiert. Dieser Motor erzeugt Stickoxide und hätte nichts in Innenstädten zu suchen. Aber wo ist die Alternative? Dann möchte ich die Diskussion erleben, die entfacht, wenn man in den Supermärkten vor leeren Regalen steht. Ich würde mir einen konstruktiven Dialog darüber wünschen, wie wir den Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen schaffen können. 

 

Beeinflusst die Diskussion das Kaufverhalten?

Matthies: Einer unserer Großkunden zum Beispiel hat sich bewusst für Benzinfahrzeuge entschieden, obwohl diese für ihn, über die Nutzungsdauer betrachtet, kostenintensiver sind als Dieselfahrzeuge. Er befürchtet, dass die Innenstädte für Diesel gesperrt werden und seine Außendienstmitarbeiter nicht mehr direkt zu den Kunden kommen. Er hat Planungssicherheit der Wirtschaftlichkeit vorgezogen. Die jetzige Verunsicherung hat also durchaus Auswirkungen auf die Wirtschaft.

 

Was sind für Sie in Dresden die größten Herausforderungen?

Matthies: Die eigentliche Herausforderung und gleichzeitig unser Kapital sind die Kundenbeziehungen. Das Gute ist, dass wir als Stern Auto die gesamte Belegschaft der ehemaligen Mercedes-Benz Niederlassungen übernommen haben. Das heißt, in der Schnittstelle zum Kunden hat sich keine Veränderung ergeben. Die Anstrengungen liegen derzeit im back-office. Wir haben riesige Meilensteine in der IT bewältigt und optimieren die Prozesse geschäftlicher Abläufe im Sinne unserer Kunden und Mitarbeiter. Extern haben wir genau die Herausforderung wie zu Daimler-Zeiten: Die starke Position im Markt auszubauen. Wir befinden uns in einem totalen Wettbewerb. Das Thema Premium ist heute durch einige Wettbewerber besetzt, sowohl bei Trucks als auch bei Pkw. Es geht um nichts anderes als Marktanteile und Kundenzufriedenheit. Glücklicherweise haben wir als Stern Auto die besten Voraussetzungen und eine Mindestgröße, die uns lebensfähig macht.

 

Ganz Deutschland spricht über Fachkräftemangel. Finden Sie in Dresden das Personal, das Sie brauchen?

Matthies: Wir sind vernetzt mit Institutionen wie zum Beispiel der Industrie- und Handelskammer und agieren auf den Jobbörsen. Wir merken aber, dass es für junge Leute, anders als bei mir in den 70er Jahren, mehr attraktive Berufe gibt. Berufe, die zu meiner Zeit gar nicht existent waren. Heute eröffnen sich beispielsweise im Bereich IT und Digitalisierung Jobprofile, die es früher einfach nicht gab. Das heißt, wir befinden uns auch mit dem Angebot an Arbeitsplätzen in einem anderen Wettbewerbsumfeld als noch vor Jahren. Bei heute ausgeschriebenen Lehrstellen erreicht die Anzahl der Bewerber nicht mehr die Größenordnung von damals. Aber Fachkräftemangel haben wir bei uns in der Branche noch nicht.

 

Welche Verantwortung haben Sie gegenüber Ihren Mitarbeitern und der Stadt Dresden? 

Matthies: Das Entscheidende sind für mich, auch in Zeiten der Digitalisierung, gute zwischenmenschliche Beziehungen. Wir legen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter gerne zu uns kommen und wissen, dass sie in Stern Auto einen Arbeitgeber haben, der nicht minder attraktiv ist als es die Daimler AG zuvor war. Wir haben ein gut aufgestelltes Konzept für Personalentwicklung in unserem Unternehmen und fördern Karrieren mit vielseitigen Perspektiven innerhalb der Stern Auto Gruppe. Wir engagieren uns in diversen Projekten aktiv für die Stadt und sind über alle Mitarbeiterschichten hinweg in vielen gesellschaftlichen Themen unterwegs. Ob es das Sponsoring ist, das Engagement im Lions- und Rotary Club oder die Mitgliedschaften in Vereinen - das machen nicht nur wir als Unternehmen, sondern auch unsere Mitarbeiter.