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Aktuelle Erkenntnisse zum Einfluss der Psyche beim Reizdarmsyndrom

Von Professor Dr. med. Matthias Rose

 

Beim Reizdarmsyndrom bestehen chronische anhaltende Beschwerden, die auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangveränderungen einhergehen. Das Reizdarmsyndrom (RDS, auch somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren Verdauungssystems genannt) ist eine häufige Erkrankung: In Deutschland erfolgen etwa 15 der hausärztlichen Vorstellungen sowie bis zu 50 Prozent der gastroenterologischen Vorstellungen aufgrund entsprechender Beschwerden (Enck et al. Nat Rev Dis Primers 2016). 

In der deutschen S3-Leitlinie wird das Reizdarmsyndrom wie folgt definiert: Es bestehen chronische (länger als drei Monate) anhaltende Beschwerden (zum Beispiel Bauchschmerzen, Blähungen), die von Patient/Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangveränderungen einhergehen (aber nicht müssen), der Patient sucht aufgrund der Beschwerden Hilfe/macht sich Sorgen und andere Krankheitsbilder wurden ausgeschlossen (Layer et al. Z Gastroenterol 2011). Die im letzten Jahr neu erschienenen und weltweit gültigen Rom-IV-Kriterien sprechen beim RDS erstmals von einer Disorder of the Gut-Brain Interaction (Rome IV Consensus Conference. Gastroenterology 2016), ein Begriff, welcher auf zugrunde liegende pathophysiologische Änderungen verweist (Goebel-Stengel & Stengel. Z Komplementärmed 2016). Die Pathophysiologie des Reizdarmsyndrom ist komplex, neben Umwelt- spielen auch psychische und genetische Faktoren eine Rolle. Auch der Ernährung und dem Darm-Mikrobiom werden sowohl eine pathophysiologische als auch therapeutische Rolle zugesprochen. Am ehesten wird der Pathogenese das biopsychosoziale Krankheitsmodell gerecht. Die Diagnostik besteht aktuell noch immer weitgehend im Ausschluss möglicher anderer zugrunde liegender Erkrankungen. Der Einsatz von Biomarkern hat sich bislang nicht durchsetzen können; eventuell könnte eine Biomarker-Batterie Verwendung finden. 

 

Therapeutische Maßnahmen bei Reizdarmsyndrom 

Therapeutisch kommen neben einer Vielzahl gut etablierter symptomlindernder Medikamente neue Wirkstoffe vor allem zur Behandlung des Durchfalls (zum Beispiel Eluxadolin) und der Verstopfung (zum Beispiel Prucaloprid, Lubiproston, Linaclotid) zum Einsatz. Neue therapeutische Möglichkeiten könnte die Beeinflussung des Mikrobioms bieten. Allerdings kann die Gabe von Probiotika bislang evidenzbasiert nicht empfohlen werden (Mazurak et al. Neurogastroenterol Motil 2015), der fäkale Mikrobiomtransfer (sogenannte Stuhltransplantation) muss erst in weiteren Studien untersucht werden, um eine valide Nutzen-Risiko-Kalkulation abgeben zu können. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Ernährungstherapie ein: Während eine Laktoseintoleranz sowie Fruktosemalabsorption ausgeschlossen und gegebenenfalls behandelt werden sollten (Goebel-Stengel et al. J Neurogastroenterol Motil 2014), kann die unterstützende Behandlung mittels einer sogenannten FODMAP-reduzierten Diät (fermentierbare Oligo- und Disaccharide, Monosaccharide and/ und Polyole) hilfreich sein (Goebel-Stengel & Mönnikes. Dtsch med Wochenschr 2014). Demgegenüber ist die Rolle der nicht Zöliakiebedingten Glutenunverträglichkeit (Volta et al. J Neurogastroenterol Motil 2015) beim Reizdarmsyndrom bislang nicht ausreichend verstanden und evidenzgesichert. Nicht zuletzt stellen die Arzt-Patienten-Beziehung sowie die Aufklärung über die Erkrankung (Psychoedukation) eine wichtige Säule in der Behandlung des Reizdarmsyndrom dar.